© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Die liberale Volksseele kocht
Schwarz-Gelb: An der FDP-Basis wächst angesichts der andauernden Krise der Unmut über Parteichef Guido Westerwelle
Hans Christians

Es war wieder einmal kein gutes Wochenende für den FDP-Vorsitzenden und Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Es muß dem einstigen Strahlemann in den Ohren geklungen haben, was sich in der Provinz zugetragen hat. In der hessischen Gemeinde Künzell bei Fulda hatten sich die Delegierten gar mit einem Antrag für einen Sonderparteitag auseinanderzusetzen, der die Abwahl des Vorsitzenden zum Ziel hatte.

Der hessische Landesparteitag hatte Symbolcharakter, war es doch die Landtagswahl im Januar 2009, die den Liberalen das erste Spitzenergebnis des zurückliegenden Superwahljahres bescheren sollte. Danach eilten die Blau-Gelben von Sieg zu Sieg, bis zur Bundestagswahl, die ihnen ein Rekordresultat von 14,6 Prozent bescheren sollte. Und Westerwelle, der sich einst als „Freiheitsstatue der Bundesrepublik“ bezeichnet hatte, wurde von seinen Parteifreunden geradezu als Denkmal verehrt. Mittlerweile ist die FDP in allen Umfragen auf fünf Prozent abgesackt, die Zustimmungsquoten für den Vorsitzenden sind in den Keller gefallen. Am Ende blieb Westerwelle zwar der Sonderparteitag erspart, aber das lag eher daran, daß die hessischen Delegierten den offenen Bruch scheuten. „Die Stimmung ist schlecht“, stellte Landeschef Jörg-Uwe Hahn schon in der Vorwoche fest.

Und an der Basis kocht die liberale Volksseele. In Sachsen probt der Landesvorsitzende Holger Zastrow unverhohlen den Aufstand, indem er ankündigte, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählen zu wollen. Die Aktivisten vor Ort, so klagt Zastrow, wüßten nicht mehr, was sie den Leuten vor Ort erzählen sollten. Während des Wahlkampfs haben sich die Liberalen als Steuersenker und Anwalt des Mittelstands profiliert, gehalten haben sie davon nichts. Westerwelle hat die miesesten Popularitätswerte, die je für einen bundesdeutschen Außenminister gemessen wurden, der Aufsteiger Philipp Rösler wird vom Koalitionspartner CSU beim Thema Gesundheitsreform am Nasenring durch die Manege geführt, und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle schaffte es nicht, in die Fußstapfen seines populären Amtsvorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg zu treten.

Aus dem hohen Norden meldete sich der Kieler Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki zu Wort. Westerwelles langjähriger Gegenspieler holte zum Rundumschlag gegen die Parteispitze aus und forderte Kurskorrekturen in der Steuerpolitik. Seine Worte schallten wie ein Donnerhall: „Das Problem heißt auch Birgit Homburger.“ Und damit dürfte der streitbare Norddeutsche die Stimmung der Basis getroffen haben. Dort verehrten sie Westerwelle als den geborenen Oppositionsführer und als messerscharf analysierenden Fraktionsvorsitzenden. Nun macht der Parteichef im Auswärtigen Amt eine schlechte Figur, und seine Nachfolgerin ist mit der Führung der personell stark vergrößerten Bundestagsfraktion offenkundig überfordert.

Die FDP, so scheint es, ist von ihrem eigenen Erfolg überrollt worden. Christian Lindner, der juvenile Generalsekretär (JF 25/10), soll die Partei neu organisieren und klagt über die zahlreichen Abgänge qualifizierter Mitarbeiter in den Bundesministerien. Die Personaldecke sei dünn, heißt es und der saarländische Landesvorsitzende Christoph Hartmann mußte am Samstag eingestehen: „Es wird halt niemand zum Minister geboren.“

Während sich die hessischen Liberalen in Sachen Königsmord übten, probte der saarländische Landesverband genüßlich die Selbstzerfleischung. Fulminante 9,2 Prozent erzielte die FDP im Herbst, schmiedete mit CDU und Grünen das erste Jamaika-Projekt der Republik –und brauchte nur Wochen, um alle Wahlversprechen über Bord zu werfen.

Nun hat das Saarland das deutschlandweit strengste Nichtrauchergesetz und ein grünes Schulmodell: Der Landesvorsitzende konnte sich nur mit dem Verweis auf das fragile Bündnis retten, so gesehen bestätigten die Delegierten wohl eher den Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten denn den Landesvorsitzenden Hartmann im Amt. Obwohl sich alle Kreisvorsitzenden für seine Wiederwahl ausgesprochen hatten, verweigerten ihm 120 von 360 Delegierten die Gefolgschaft.

Bundespolitische Prominenz war weder auf den Parteitagen in Hessen noch im Saarland zu sehen, und so übten sich die Landesorganisationen eifrig in Kritik an der Bundesführung. „Wir agieren gegen den Bundestrend“, sagten die Provinzfürsten in trauter Einigkeit. Die Angst vor Neuwahlen ist derzeit das einzig einigende Band in der Partei: „Sollten wir jetzt neu wählen, sitzt die Hälfte von uns auf der Straße. Egal, ob in Wiesbaden, in Hessen oder in Saarbrücken“, sagte ein Abgeordneter. Dem Parteivorsitzenden dürften die Worte in den Ohren geklingelt haben.

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