© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Pose des überlegenen Aufklärers
Europäische Union: Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz wirbt für einen EU-Beitritt der Türkei und könnte einen Kurswechsel vorbereiten
Michael Paulwitz

Von Zeit zu Zeit, so scheint es, muß die CDU ihre Stammwähler immer mal wieder tüchtig vor den Kopf stoßen, damit auch der letzte merkt, daß im Merkel-Club kein Platz für konservative Positionen ist. In diesem Sinne hat Ruprecht Polenz, vor zehn Jahren für einige Monate CDU-Generalsekretär und heute Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, mit seinem Essay „Besser für beide – Die Türkei gehört in die EU“ zur Klärung der Lage beigetragen.

Wer dagegen dem Vorwort von Herausgeber Roger de Weck glaubt, Polenz entkräfte „nüchtern und systematisch“ nacheinander die Argumente gegen den Türkei-Beitritt zur EU, wird enttäuscht. Polenz spricht zwar vieles an, seine Gegenargumente bleiben jedoch meist im Affirmativen, Gutgemeinten, Ungefähren.

Auch mit der vom Herausgeber beschworenen „französisch-cartesianischen“ Vernunft hapert es bei Polenz schon in der Begrifflichkeit. „Pacta sunt servanda“, lautet ein Standardargument, weil man der Türkei doch schon so lange eine „Beitrittsperspektive“ geöffnet habe. Eine „Perspektive“ ist aber kein Pakt und kein Vertrag, sondern eine Aussicht, die sich auch ändern kann.

In der Pose des überlegenen Aufklärers führt Polenz die „prinzipielle Gegnerschaft“ zum EU-Beitritt der Türkei, der er entgegentreten will, auf ein fortwirkendes „historisches Trauma“ der Türkengefahr und auf ein irrationales „negatives Islambild“ zurück, die zu überwinden seien. „Unsere Werte sind mit dem Islam kompatibel“, doziert Polenz. Da spricht der biedere Jurist aus der münsterländischen Provinz, der im Kuratorium der „Christlich-Islamischen Gesellschaft“ mit christlichen und zum Islam konvertierten Deutschen zusammensitzt und sich einen idealen Islam zurechtlegt, der mit den fundamentalistischen Realitäten großstädtischer Parallelgesellschaften recht wenig zu tun hat.

Aber man solle die Integrationsfrage ja sowieso besser nicht mit der Beitrittsdebatte vermischen, meint Polenz, obwohl er wenige Seiten später argumentiert, daß wir die „Hilfe der Türkei“ zum Gelingen der Integration doch bräuchten. Auch Premier Erdoğan habe sich in seiner „Assimilation ist ein Verbrechen“-Rede in Köln ja für Integration ausgesprochen – daß es ihm dabei in erster Linie um die Instrumentalisierung seiner Landsleute als Einflußfaktor ging, sieht Polenz durch seine rosa Brille nicht.

Beitritt als positives Signal an die islamische Welt

Man müsse auch keine Angst vor Überfremdung, riesigen Transferzahlungen und weiterer massenhafter Zuwanderung haben, beschwichtigt der CDU-Außenpolitiker: Das könne man ja alles vertraglich vorher ausschließen, und die Aufnahme der Türkei in die Union könne ja ohnehin erst nach Erfüllung aller politischen und wirtschaftlichen Beitrittskriterien erfolgen, da ist sich Polenz mit seinem Buchpräsentator Hans-Dietrich Genscher einig. Wieviel derlei Kriterien im Ernstfall taugen, erfahren wir allerdings gerade am Beispiel der diversen Euro-„Rettungen“.

Das „Besser für beide“ besteht für Polenz außer in positiven Signalen an die islamische Welt und der Stärkung der „Reformbereitschaft“ in der Türkei vor allem in ökonomischen – die Türkei als Wachstumsmarkt für europäische Exporte – und geostrategischen Vorteilen für die EU, die vom Einfluß der Türkei im Kaukasus, im Nahen Osten und in der arabischen Welt profitieren könne. Der logische Einwand, daß die Türkei sich nach dem Beitritt nicht als Transmissionsriemen der aktuellen EU-Politik verstehen, sondern im Gegenteil ihre eigenen Interessen in der gemeinsamen EU-Außenpolitik durchzusetzen versuchen wird – und das wohl mit größerer Hartnäckigkeit und Verhandlungsstärke als jeder Bundeskanzler –, kommt Polenz nicht in den Sinn. Schlicht falsch liegt er, wenn er die Türkei weiter als „strategischen Partner für Israel“ sieht, obwohl Regierungschef Erdoğan alles tut, um sich der islamischen Welt als Israel-Gegner zu empfehlen. Die unübersehbaren Indizien für einen islamistischen Kurswechsel in Ankaras

Außenpolitik tut Polenz als „mangelnde Trittsicherheit“ der türkischen Diplomatie ab.

Als Einführung in den Gedankenkosmos eines naiven Beitrittsbefürworters ist Polenz’ Essay einigermaßen instruktiv. Als Beitrag zur Beitrittsdebatte ist er von beschränktem Wert, da er den unbequemen Fragen aus dem Weg geht. Leider ist anzunehmen, daß der Ausschußvorsitzende, der hier noch mit dem Intellektuellen-Image des Merkel-Kritikers kokettiert, damit bereits die Linie für ein künftiges Umfallen der Union in der Beitrittsfrage vorzeichnet.

Ruprecht Polenz: Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010, broschiert, 110 Seiten, 10 Euro

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