© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

„Sehnsucht, Freude und Erholung“
Umweltrecht: Vor 75 Jahren wurde das Reichsnaturschutzgesetz erlassen / Politische Nachwirkungen bis heute
Daniel Heintz

Bis vor wenigen Jahren wurden Umwelt- und Naturschutz als „linkes“ Thema wahrgenommen. Doch die Angst vor der Erderwärmung oder die Kritik am Artensterben ist inzwischen parteiübergreifend. Von den Linken bis zur Bundeskanzlerin profilieren sich alle Parteien mit hehren Forderungen und mahnenden Worten, wenn es um den Erhalt des globalen Ökosystems geht.

Dabei liegen die Wurzeln des Naturschutzes in Deutschland schon viel weiter zurück als die Gründung der Grünen 1980. Form und Inhalt heutiger Ausprägungen des Naturschutzes – zum Beispiel Gesetzgebung und Vereinswesen – sind direkte Ergebnisse weit zurückliegender Handlungen. Diese werden meist übergangen, da die Historie des Naturschutzes in Deutschland eng verknüpft ist mit Heimat und Nation: Bezugsgrößen, die heute weitgehend als unpassend angesehen werden – auch, weil zahlreiche noch heute geltende Regelungen auf das am 26. Juni 1935 erlassene Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935 (RNG/RGBl. I. S. 821) zurückzuführen sind.

Der führende deutsche Vordenker des Heimat- und damit Naturschutzes, Ernst Rudorff, stellte 1880 – inhaltlich noch immer aktuell – fest, daß „die Menschheit auf dem besten Wege sei, über dem Jagen nach materiellen Vorteilen die Schönheit der Welt zu zerstören, dem irdischen Dasein jeden edleren Reiz zu rauben, ja unserem gesamten höheren Geistesleben die Wurzeln abzugraben“.

1909 organisierte – auf Initiative von Prinzregent Luitpold – der bayerische Innenminister als erster im Deutschen Reich eine staatlich autorisierte Vogelschutzkommission für Bayern – daraus entstand der heutige Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV, JF 40/09). Immer wieder wurde die deutsche Naturverbundenheit mit einer inneren Haltung in Verbindung gebracht, unter anderem versinnbildlicht in der Bezeichnung des Waldes als Dom der Deutschen. Beispielhaft sei hier das 1938 zum Naturschutzgebiet deklarierte Waldgebiet „Heilige Hallen“ in Mecklenburg angeführt, Deutschlands ältester Buchenwald, dessen Bäume an einen gotischen Dom erinnern.

Nach dem Ersten Weltkrieg erlangten die Naturschützer zunächst weniger politische Aufmerksamkeit. In ihrer Aufsplitterung waren sie ein Spiegelbild der damaligen Gesellschaft. Viele Naturschützer sehnten mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Erfüllung ihrer zentralen Forderungen herbei, wozu auch eine einheitliche Naturschutzgesetzgebung gehörte. Diese Forderungen überschnitten sich mit dem Naturverständnis der Nationalsozialisten, die in einer auf „Blut und Boden“ ausgerichteten Volksgemeinschaft die Natur in den Mittelpunkt setzten.

Naturschutz mit Tierschutz und Jagdrecht verknüpft

„Heute wie einst ist die Natur in Wald und Feld des deutschen Volkes Sehnsucht, Freude und Erholung. Die heimatliche Landschaft ist gegen frühere Zeiten grundlegend verändert“, heißt es in der Präambel des RNG. „Die deutsche Reichsregierung sieht es als ihre Pflicht an, auch dem ärmsten Volksgenossen seinen Anteil an deutscher Naturschönheit zu sichern.“ In Paragraph 1 war festgehalten: „Das Reichsnaturschutzgesetz dient dem Schutze und der Pflege der heimatlichen Natur in all ihren Erscheinungen.“ Im folgenden regelte das Gesetz einzelne Sachgebiete wie beispielsweise das Strafmaß für Verstöße, die mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren belegt werden konnten. Eine wichtige Aufgabe der Naturschutzstellen war dem Gesetz nach die „Förderung des allgemeinen Verständnisses für den Naturschutzgedanken“. Gerade dieser Punkt ist bezeichnend für die gesamte Tier- und Naturschutzgesetzgebung im Dritten Reich, bei der Erziehung vor Strafe stand und aus diesem Grund der Naturschutz in Unterricht und Erziehung einfloß. Das RNG wurde in der Folgezeit durch zusätzliche Bestimmungen konkretisiert, die es sinnvoll mit dem Tierschutz- und Jagdrecht verknüpften. In der Praxis ist es damals aber nicht gelungen, die Ziele des Gesetzes voll umzusetzen. Die Autarkiepolitik und der Zweite Krieg ließen den Naturschutz in den Hintergrund rücken.

Trotzdem machen es sich heutige Historiker aber zu einfach, wenn sie die Mängel der Naturschutzgesetzgebung aufführen, den Naturschutz als bloße NS-Propaganda abtun oder diese Bestrebungen im Rahmen der „Blut und Boden“-Politik sogar als verbrecherisch darstellen. Gewiß war der Naturschutz Teil einer biologisch-rassistischen Weltanschauung. Doch diese Negativdarstellungen des früheren Naturschutzes reichen als alleinige Bewertungskriterien nicht aus. Denn erstmals wurde eine umfassende Gesetzgebung geschaffen und der Gedanke von der Bedeutung des Erhaltes der natürlichen Lebensumwelt in breitere Schichten getragen.

So erklären sich auch die Kontinuitäten im Naturschutz nach 1945. Daher bildete das RNG bis zur Einführung des Bundesnaturschutzgesetzes 1976 die juristische Handlungsgrundlage im bundesdeutschen Naturschutz.

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