© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Pankraz,
Prinzessin Victoria und die Silberzunge

Was läßt ein Land enger zusammenrücken, königliche Hochzeiten oder (prä-)präsidiale Edelreden? Ein Vergleich der deutschen Vorgänge um Köhler/Wulff/Gauck mit der „Jahrhunderthochzeit“ von Kronprinzessin Victoria in Schweden liefert da interessante Aufschlüsse. Die Waage neigt sich eindeutig zugunsten Victorias.

Natürlich ist die Bewerbung von Joachim Gauck ein hochemotionales, das Volk tief bewegendes Ereignis. Sympathien breiten sich aus über alle Parteigrenzen hinweg. Man sehnt sich in allen Lagern nach überparteilicher Repräsentanz, nach einem öffentlichen Kommunikationsraum jenseits aller aktuellen politischen Rankünen und hinterhältigen Machtspiele. In der Gestalt Gaucks bündelt sich diese Sehnsucht, und zwar in bisher einmaliger Weise. Zum ersten Mal sind sich der „kleine Mann“ und die intellektuellen Eierköpfe weitgehend einig.

Was aber fehlt, ist ein überzeugendes Bild vom Ganzen und der institutionelle Rahmen dazu. Die Szene bleibt eigentümlich kahl. Zwar ist der Pastor aus Mecklenburg eine Silberzunge, die selbst gängigen Politphrasen eine transzendente Aura zu verleihen vermag. Doch das genügt nicht, um den Sympathiepegel gleichmäßig hochzuhalten, besonders wenn man keine Macht hat, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Dann wird man schnell (siehe Horst Köhler) zur Kasperlefigur, die einsam vor sich hinzappelt und schließlich zusammensackt.

Kluge Demokratien wissen das und sind deshalb Präsidialdemokratien, wie in Frankreich oder den USA. Die Nummer eins ist dort nicht nur Exekutor des sogenannten Volkswillens, sondern gleichzeitig dessen oberster Repräsentant, nicht nur bloße Funktion, sondern durchaus auch lebendige Gestalt, mit der man sich identifizieren und in der man sich ausgedrückt sehen will. Manchmal gelingt das sogar; man denke etwa an die charismatischen ersten Regierungsmonate von US-Präsident Obama. Um so betrüblicher dann das Bleichwerden des Charismas unter den Mühen der Ebene.

In den konstitutionellen Monarchien Skandinaviens oder Großbritanniens hat man solche Sorgen nicht. Macht und Repräsentanz sind von vornherein strikt voneinander getrennt. Die Monarchie steht jenseits allen Parteienstreits, ja jenseits aller Politik – und dennoch ist sie ein erstrangiges Moment der Politik, und zwar ein positives. Sie bringt die Bürger zusammen, ohne daß diese sich eigener Überzeugungen begeben müssen. Sie stiftet Identität einzig durch das Bild und seinen prächtigen Rahmen, in denen sich historische Erinnerung abspiegelt, Dauer, Ewigkeit, Verbundenheit mit der Tradition.

All die prächtigen Gewänder und umständlichen Rituale, die sie bei gegebenen, streng festgelegten Anlässen vorführt, die goldenen Kutschen, die Begleitgarden hoch zu Roß – sie passen selbstverständlich, wie der Intellektualspießer gerne anmerkt, „nicht mehr in unsere Moderne“. Aber genau daraus ergibt sich ihr gewissermaßen quantentheoretischer Charme. Das monarchische Zeremoniell unter konstitutionellen Bedingungen ist ein Zeitsprung in Zeitlupe. Es zeigt das je Eigene im ganz und gar Fremden und stiftet damit Nachdenken ohne Überheblichkeit.

Vor allem jedoch stiftet es Rührung und menschliche Anteilnahme. Der monarchische Repräsentant wirkt in erster Linie nicht durch schöne Reden, sondern durch „Benehmen“. Er muß eine gute Figur machen und trotzdem sein „wie du und ich“. Der Umstand, daß Prinzessin Victorias Daniel sich kürzlich einer Nierentransplantation unterziehen mußte und daß es sein Vater war, der die Niere spendete – diese edle Lovestory hat mit Sicherheit mehr zum Gedeihen Schwedens beigetragen als jeder nur denkbare Stockholmer Parlamentsbeschluß.

Und die Presse ist immer dabei. Nichts paßt im Grunde besser zusammen als moderne Medien und in fernen Zeiten wurzelnde Monarchien. Fernsehen und Bild-Zeitung ersetzen  das, was früher, in höfisch-absolutistischen Zeiten, das fürstliche „Levée“, das hochoffizielle und, für damalige Verhältnisse, vollkommen öffentliche Aufstehen und Zubettgehen, Tafeln und Pinkeln, Beischlafen und Gebären des Monarchen war: eine Angelegenheit, die das ganze Volk interessierte – und auch zu interessieren hatte.

Törichte Diktaturen wie die der SED in der DDR (Joachim Gauck wird sich gut erinnern) hatten faktisch eine Nachrichtensperre über Mitteilungen aus dem Privatleben der Funktionäre und ihrer Kamarilla verhängt, mit der Folge, daß jedes diesbezügliche Hörensagen ungeheuer ernst genommen wurde und in Windeseile die inoffizielle Runde machte. Das freischwebende Gerücht ersetzte die gedruckte oder gesendete Klatschspalte, und es blähte sich, unkontrolliert und unkontrollierbar, oft zu furchterregenden Dimensionen auf, lieferte ein Horrorbild von den „Orgien der Herrschenden“, das durchaus zur Wende und zum Umsturz der Verhältnisse beigetragen haben mag.

Ob aber nun Nachrichtensperre oder Nachrichtenüberfluß bzw. mediale Omnipräsenz – die konstitutionelle Monarchie ist der Demokratie, was Medien betrifft, in jeder Hinsicht überlegen. Eine königliche Familie mag, wie seinerzeit in Großbritannien bei der Affäre um Lady Di, Camilla Parker Bowles und Prinz Charles, von der Presse regelrecht überschwemmt werden – weggeschwemmt werden kann sie nicht, sehr im Gegensatz zu einem deutschen Bundespräsidenten, bei dem manchmal schon ein Kleininterview von unterwegs aus dem Flugzeug genügt, um ihn zum Verschwinden zu bringen.

Dem Präsidentschaftskandidaten Gauck wird es (Pankraz wagt die Voraussage) nicht viel besser ergehen. Er wird dank der inneren Parteiräson der Politfunktionäre und ihrer funktionellen Nummer eins ungewählt bleiben, und er sollte darüber sogar froh sein. Sein gegenwärtiges Erscheinungsbild ist gut, doch es würde sich im Laufe der Amtszeit mit Sicherheit stark eindunkeln. Was soll’s also? Freiwillig Hampelmann möchte niemand gerne spielen.

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