© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Frischer Wind ins Kino
Alle paar Jahre ein Meisterwerk: Claude Chabrol wird achtzig
Michael Hofer

Wenn der Name Claude Chabrols fällt, dann ist in der Regel auch immer von der „Bourgeoisie“ die Rede, als deren unerbittlicher Kritiker er gilt. Das ist ein etwas zu wichtigtuerisches Schlagwort für einen Regisseur, der sich nie viel aus einer „Message“ gemacht hat, und wohl vor allem ein Versuch, dessen bis dato  rund 70 Kino- und Fernsehfilme umfassendes Gesamtwerk auf einen griffigen Nenner zu bringen. Zu diesem Image gehört dazu, daß der leidenschaftliche Pfeifenraucher und Gourmet Chabrol selbst wie das Urbild des jovial-gemütlichen Bourgeois wirkt, wäre da nicht der sardonische Humor, der ihm unübersehbar ins Schelmengesicht geschrieben steht.

Nicht nur in dieser Hinsicht ähnelt der am 24. Juni 1930 in Paris geborene Chabrol seinem großen Vorbild Alfred Hitchcock. Eine Begegnung mit dem britischen Meisterregisseur stand auch am Anfang von Chabrols Karriere, als der 25jährige Cinephile zusammen mit seinem nicht weniger kinofanatischen Freund François Truffaut dem gerade in Frankreich an „To Catch a Thief“ (dt. Über den Dächern von Nizza) arbeitenden Hitchcock für ein Interview mit der Filmzeitschrift Cahiers du Cinéma einen Besuch abstattete. Vor den Augen des Meisters stürzten die beiden in ein zugefrorenes Wasserbecken, was dieser später damit kommentierte, er müsse jedesmal an die beiden Herren denken, „wenn ich in einem Whiskyglas Eiswürfel aneinanderstoßen sehe“.

Der Apothekersohn Chabrol führte zu diesem Zeitpunkt ein recht müßiges, mit Kunst und Literatur beschäftigtes Leben, hatte er doch im Alter von 22 Jahren in eine reiche Familie eingeheiratet. Diese ermöglichte ihm schließlich auch die Produktion seines Erstlings „Le Beau Serge“ (Die Enttäuschten, 1958), der mit einem knappen Vorsprung vor den Debütfilmen seiner Freunde Truffaut und Godard in die Kinos kam. Ohne irgendwelche Vorkenntnisse hatte der Autodidakt Chabrol das Metier ergriffen, in dem er seither unermüdlich tätig ist. Truffaut gab ihm kritische Schützenhilfe: „Technisch ist der Film so gekonnt, als führe Chabrol schon seit zehn Jahren Regie, was durchaus nicht der Fall ist, denn dies ist sein allererster Kontakt mit der Kamera.“

Schon in in diesem Film widmete sich Chabrol den sozialen Strukturen und Heucheleien in der französischen Provinz, deren Milieu er später noch oft unter die Lupe nehmen sollte. Seine nächste Arbeit „Les Cousins“ (Schrei, wenn Du kannst, 1959) festigte seinen Ruf als einer der wichtigsten Regisseure der nunmehr als „Nouvelle Vague“ etikettierten Bewegung, die frischen Wind in das europäische Kino brachte. Es sollte allerdings noch eine ganze Dekade vergehen, bis Chabrol zu seinem eigenen Stil als „französischer Hitchcock“ oder auch als Simenon des Kinos fand.

Nach einer Reihe von Mißerfolgen und mittelmäßigen Auftragsarbeiten schrieben ihn manche Kritiker wie etwa Andrew Sarris bereits als „vergessene Figur der Nouvelle Vague“ ab. Mit Thrillern wie „Les Biches“ (Die Freundinnen, 1968), „Que la bête meure“ (Das Biest muß sterben, 1969) und „Le boucher“ (Der Schlachter, 1970) begann Chabrols Reputation wieder zu wachsen und mit ihr sein Ruf als sarkastischer Porträtist der französischen „Bourgeoisie“.

Personifiziert in seiner Lieblingsschauspielerin und zweiten Ehefrau, der sphinxartigen Stéphane Audran, ging eine eigentümliche Kälte von Chabrols Filmen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre aus. Ihre Drehbücher setzten ihre Pointen und Handlungsumschwünge mit der Präzision eines Uhrwerks, während die Charaktere allesamt wenig sympathisch und häufig an der Grenze zum Zynismus dargestellt waren – ein Maß an allzu kalter Kalkulation, das sich in späteren Werken lockern sollte. Dies verdankten sie nicht zuletzt der engen Zusammenarbeit Chabrols mit Charakterdarstellerinnen wie Sandrine Bonnaire und Isabelle Huppert, mit der er bisher sieben Kinofilme gedreht hat.

Jedenfalls erwies sich der „Chabrol-Touch“ als äußerst erfolgreich beim Publikum und hat dem Regisseur bis heute kontinuierliche Popularität verschafft.  Neben einer erklecklichen Anzahl von Flops, die bei einem derart fließbandartigem Ausstoß wohl unvermeidlich sind, hat bisher jede Dekade ihre Chabrol-Meisterwerke hervorgebracht: in den Achtzigern etwa „Masques“ (Masken, 1987) und „Une affaire de femmes“ (Eine Frauensache, 1988), die Neunziger „La cérémonie“ (Biester, 1995) und „Au cœur du mensonge“  (Die Farbe der Lüge, 1999), das neue Jahrtausend „Merci pour le chocolat“ (Süßes Gift, 2000) und  „L’ivresse du pouvoir“ (Geheime Staatsaffären, 2006).

Auch von dem über 80jährigen sind wohl noch einige Trumpfkarten zu erwarten.

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