© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Kolumne
Der brave Bürger zahlt trotzdem
Rolf Dressler

Die Botschaft hör’n wir wohl – allein, auch das jüngste Wochenendtreffen der G20-Staatenlenker hat den Glauben der Völker an eine Umkehr hin zu besseren Ufern nicht eben beflügelt. Denn was sind die wohlfeilen Bekundungen bei Licht besehen wirklich wert, man wolle wenigstens die Neuaufnahme immer neuer Schulden bis 2015 halbieren, wenn diese bloßen Absichtserklärungen lediglich als Kann-Bestimmung daherkommen, als eine Veranstaltung auf ausdrücklich freiwilliger Basis also? Trotzdem werden viele sagen, ein Mini-Anfang sei doch immerhin schon mal ein bißchen mehr als gar nichts.

Doch wem erschließen sich noch die aberwitzigen Dimensionen jener Euro- oder Dollar(papier)werte, mit denen die Politiker jonglieren wie Otto Normalverbraucher mit dem Inhalt seiner mehr oder minder gut gefüllten Geldbörse? Selbst ein paar lockere Milliarden ordnet man eher der Abteilung Kleingeld zu, wenn hektisch und gleich reihenweise sogenannte staatliche Rettungspakete bis an die Billionen-Euro- oder Dollargrenze geschnürt werden.

Aber der vielbeschworene „Souverän“, der Wähler, fällt den von ihm Gewählten noch immer nicht in den Arm. Unverdrossen huldigen Regierende wie Regierte, Politik und Bevölkerung, Lobbyverbände, Kirchen und eine machtvolle Wohlfahrtsindustrie dem ewig jungen Fetisch einer „sozial gerechten Verteilung aller materiellen Güter“. Sie alle sind und bleiben gebannt durch den monströsen Mythos des Sozialen, die (un)heimliche, jedoch sehr reale (Ersatz-)„Religion“ unseres Zeitalters.

Der pausenlos eingeforderte „soziale Ausgleich“ kann aber wohl kaum das entscheidende Problem sein angesichts des gigantischen, längst überbordenden staatlichen Sozialhaushalts sowie privater Geld- und Sachvermögen von inzwischen sage und schreibe mindestens schon fünf Billionen Euro hier bei uns in Deutschland.

Ein zählebiges Phänomen vernebelt zu vielen Leuten offenbar die Sinne. Es scheint, als wollten sie – nervenkitzelnd – gerade auch von den Milliardenspielernaturen in der Politik durchaus auch so ein bißchen beschwindelt und betrogen sein. Jedenfalls solange es ihnen nicht „an die eigene Jacke“ geht. Bilanzbetrug wird, je nachdem, offenbar als unterschiedlich schlimm empfunden bei Bankmanagern und Firmenleitern – oder gar an der Spitze von Fußballprofiklubs. Der brave Bürger zahlt trotzdem weiter seine Steuern und geht wählen – und der wahre Fußballfan ist sowieso nicht umzuwerfen.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

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