© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Wolfram Weimer folgt Helmut Markwort ab 1. Juli als neuer Chefredakteur des Focus
Der Erbe
Michael Paulwitz

Ein Konservativer ist ein Liberaler, der von der Wirklichkeit überfallen wurde.“ Vielleicht hat ja auch Wolfram Weimer auf dem Pfad des Bonmots von Irving Kristol seine konservative Ader entdeckt – „Warum die Krise uns konservativ macht“ fragt er jedenfalls in seinem jüngsten Buch „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit“. Im deutschen Blätterwald ist der Erfinder und ehemalige Chefredakteur des Cicero, der es fertiggebracht hat, im linken Ringier-Verlag ein Monatsmagazin mit intellektuell-konservativem Flair herauszugeben, ein Lichtblick. Und als Nachfolger von Focus-Gründer Helmut Markwort will er nun ab 1. Juli das Duell mit dem Spiegel wieder aufnehmen und das kriselnde Nachrichtenmagazin zum „Leuchtturm des bürgerlichen Deutschland“ aufbauen.

Während das Schweizer Verlagshaus Ringier Weimers Berliner Geschöpf nach dessen Weggang zügig sozialdemokratisierte (JF 15/10), arbeitet der Markwort-Erbe in der Münchner Focus-Zentrale an der „Rückeroberung der Deutungsmacht“. Weimer, dessen Cicero mit „Vergeßt Habermas!“, Eva Hermans Kampfansage an den Feminismus und der radikalen Sozialstaatskritik von Sloterdijks „bürgerlichem Manifest“ Furore machte und die Auflage kontinuierlich steigerte, will den Focus für „intellektuelle Debatten“ öffnen; man darf gespannt sein, wie weit dabei sein Mut geht, die gesuchten „namhaften“ Autoren auch auf der Rechten zu finden.

Als Mischung aus Paris Match und Economist sieht Wolfram Weimer den neuen Focus – da kommt dann doch der eingefleischte Liberale durch, der über ein wirtschaftshistorisches Thema promovierte und in den wilden Neunzigern vor dem Platzen der New-Economy-Blase ein Dutzend Bücher über D-Mark und Euro, die „Kunst der Karriere“ oder „Mit Platon zum Profit“ publizierte. Der Cicero ließ ihm dann weniger Zeit zum Bücherschreiben, dafür wandte er sich verstärkt Glaubensfragen zu und veröffentlichte 2006 bei DVA immerhin noch den Essay „Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist.“

Journalismus liegt dem Sohn eines katholischen Religionslehrers im Blut – schon als Gymnasiast gründete Weimer eine Schülerzeitung, lernte im Lokal-, Agentur- und Spartenjournalismus und hat als Korrespondent der FAZ sowie als Chefredakteur von Welt und Berliner Morgenpost die großen Adressen der nichtlinken Tagespresse mitgeprägt. Der 45jährige Familienvater, in Portugal aufgewachsen, zeigte schon als jahrgangsbester Abiturient in Hessen Überflieger-Qualitäten; eine Allee von Stipendien, Preisen und Auszeichnungen säumt seinen akademischen und journalistischen Weg.

Daß Weimer sein „Baby“, den Cicero, nach sieben Jahren verläßt, um das Kind eines anderen zu adoptieren, gibt ihm die einmalige Gelegenheit, nicht nur den Focus umzukrempeln, sondern zugleich das linkslastige, konformistische Medien-Einerlei nachhaltig aufzumischen. Gut für die deutsche Presselandschaft, wenn er diese Chance nutzt.

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