© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Tropfen auf den heißen Stein
Schleswig-Holstein: Bürger und Verbände laufen Sturm gegen die einschneidenden Sparbeschlüsse der schwarz-gelben Landesregierung
Hans-Joachim von Leesen

Als eine der ersten Landesregierungen hat die schwarz-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein eine Liste mit rigorosen Sparmaßnahmen vorgestellt. Die angekündigten Einschnitte haben den erwarteten Aufschrei ausgelöst, werden aber, wie mittlerweile üblich, von den Verantwortlichen als „alternativlos“ bezeichnet. Fast täglich ziehen nun Demonstrationszüge durch die Städte. Mitte Juni beteiligten sich allein in Kiel 14.000 Menschen an der größten Demonstration des Landes seit dreißig Jahren. Die aufgebrachten Demonstranten protestierten gegen die angekündigte Schließung von Studiengängen an den Universitäten Lübeck und Flensburg.

Der größten Oppositionspartei des Landes, der SPD, fällt es unterdessen schwer, sich in der Rolle des Unschuldslammes zu präsentieren. Der immense Schuldenberg von 25 Milliarden Euro, der das Land bedrückt und der alljährlich eine Milliarde Euro an Zinsen kostet, ist von der SPD, die seit 1988 die Regierung führte und ab 2005 unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) in einer Großen Koalition vertreten war, mit zu verantworten. Als Carstensen im April 2005 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, fand er bereits einen Schuldenberg von über 20 Milliarden Euro vor.

Doch erst jetzt beschloß die seit 2009 regierende schwarz-gelbe Koalition, einen Doppelhaushalt für die kommenden beiden Jahre mit einschneidenden Einsparungen aufzustellen. Ziel ist es, daß Schleswig-Holstein bereits 2020 keine neuen Kredite mehr aufnehmen muß. Der Schuldenberg wird dadurch aber immer noch nicht abgebaut. Die Lage scheint hoffnungslos zu sein.

Zahl der Polizisten kräftig reduziert

Alle Gebiete sollen von den Sparmaßnahmen erfaßt werden, was um so notwendiger ist, als die neueste Steuerschätzung davon ausgeht, daß das Land bis 2013 pro Jahr eine Milliarde Euro weniger einnimmt als geplant. Damit „werden die schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen“, sagte der Finanzminister Rainer Wiegand (CDU). Wie unverantwortlich man noch in der jüngsten Vergangenheit mit Geld um sich geschmissen hat, geht daraus hervor, daß das Land noch vor einem Jahr den Eltern versprochen hat, das dritte Kita-Jahr kostenfrei zu stellen, was jährlich 35 Millionen gekostet hat. Auch versprach die Regierung, die vor allem auf dem flachen Land nicht unerheblichen Schülertransportkosten zu übernehmen (jährlich 6,5 Millionen). Nun wird beides wieder gestrichen.

Die größten Kosten verursachen indes Löhne und Gehälter der Landesbediensteten. Vier Jahre Große Koalition haben, wie eine Untersuchung des Landesrechnungshofes zeigte, gerade einmal die Einsparung von zwei Stellen ergeben. Jetzt will man innerhalb der nächsten Jahre 5.300 streichen, davon 3.650 Lehrerstellen. Die Anzahl der Polizeibeamten ist bereits in den vergangenen Jahren kräftig reduziert worden. Jetzt will das Land auch die Pensionsgrenze von 60 auf 62 Jahre anheben.

Das Landeskulturzentrum, das auf dem aus dem neunzehnten Jahrhundert stammenden, im wilhelminischen Stil erbauten Schloß Salzau residiert und jährlich 1,2 Millionen verschlingt, soll verkauft werden – falls man einen Käufer findet. Kräftigen Kürzungen zum Opfer fallen das Schleswig-Holstein-Musikfestival (minus 500.000 Euro) und das Jazz Baltica (147.000 Euro). Die Landestourismus-Agentur, die bisher 1,9 Millionen Euro kostete, wird aufgelöst.

Besonders laute Proteste rief der Plan hervor, für das in Lübeck und Kiel beheimatete Universitätskrankenhaus Schleswig-Holstein private Investoren zu suchen. Hier hat sich ein Investitionsstau von 700 Millionen Euro aufgetürmt, vor dem das Land nun kapituliert. Was bei einer Privatisierung aus dem zwischen Land und Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifvertrag wird, in dem festgelegt ist, daß ein Verkauf vor 2015 ausgeschlossen ist, bleibt unklar. Die Gewerkschaft Verdi spricht bereits von „Wortbruch“.

Die Universitäten Lübeck und Flensburg sollen Studiengänge verlieren: Lübeck die Medizin, Flensburg die Wirtschaftswissenschaften. Beides läßt den Verlust des Universitäts-Status befürchten. Der mit namhaften Gelehrten besetzte Universitätsrat, der vor drei Jahren geschaffen worden ist, um die Regierung zu beraten, trat geschlossen zurück, weil man ihn nicht befragt hatte.

Nirgends in den Sparbeschlüssen findet man den immer wieder versprochenen Bürokratieabbau, was wohl bedeutet, daß die Regierung auf diesem Gebiet ebenfalls kapituliert hat. Zumindest der auf 95 Abgeordnete aufgeblähte Landtag soll auf die im Landeswahlgesetz vorgesehenen 69 Sitze reduziert werden. Zudem sollen die Zulagen für Fraktionschefs, parlamentarische Geschäftsführer, Landtagspräsidenten und Fraktionen um zehn Prozent gekürzt und die Altersgrenze der Minister von 55 auf 62 Jahre angehoben werden. Das Ganze ist, wenn es denn wirklich durchgesetzt wird, dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.   

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