© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Verteidigung nach Kassenlage
Bundeswehr: Eine erneute Reduzierung der Mannschaftsstärke könnte Deutschland an den Rand der Verteidigungsunfähigkeit bringen
Paul Rosen

Die deutschen Soldaten, die in Afghanistan oder auf einem Schiff vor dem Horn von Afrika ihren Dienst fürs Vaterland tun, werden es vielleicht schon länger geahnt haben: Das eigentliche Problem sind nicht feindliche Kräfte oder Piraten, sondern smarte Herren in Nadelstreifen und Damen im Hosenanzug. Die kreuzen am Horn von Afrika oder in Afghanistan eher selten auf, sondern ihr Kampfplatz sind große und kleine Sitzungssäle in Berlin, wo sie immer neue Veränderungen an der Bundeswehr bestimmen. Unter allen Armeen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte die Bundeswehr die am meisten durch Reformen und Transformationen geschundene sein. Und ein Ende ist nicht abzusehen.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat Ende Mai in einer Rede in der Hamburger Führungsakademie eine neue sicherheitspolitische Doktrin verkündet: „Der mittelfristig höchste strategische Parameter, unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet werden muß, ist die Schuldenbremse, ist das globalökonomisch gebotene und im Verfassungsrang verankerte Staatsziel der Haushaltskonsolidierung.“ Das heißt: Geld gibt es nur noch, wenn was da ist. Das Geld wird aber bereits zur Befüllung der unermeßlich wachsenden Sozialetats gebraucht.

Dabei hat Guttenberg nicht nur einfach etwas dahergeredet, sondern tatsächlich zum Ausdruck gebracht, wie diese Regierung mit sicherheitspolitischen Fragen umzugehen gedenkt: So wird die Zukunft der Wehrpflicht nicht von militärischen und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten bestimmt, sondern von der Kassenlage. Wenn das Kanzleramt sagt, Guttenberg müsse 50.000 Zeit- und Berufssoldaten einsparen, dann antwortet der völlig zu Recht, daß damit die Wehrpflicht organisatorisch nicht mehr zu halten sei, so daß die dann gleich mit abgeschafft werden müsse. Gespart wird dadurch übrigens nichts, wie ein Blick in andere Länder zeigt, weil junge Männer und Frauen mit erheblich höherer Bezahlung und anderen Vergünstigungen in Zukunft zur Truppe gelockt werden müssen.

Aber das ist gar nicht einmal der Kern des Problems. Der frühere Generalinspekteur und spätere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Harald Kujat, sagte: „Ich sehe die jetzt diskutierten Sparmaßnahmen als Bankrotterklärung der deutschen Außenpolitik.“ Kujat, ein aufrechter Mann, nennt damit die wichtigsten Punkte: Der Bund, so heißt es sogar im Grundgesetz, stellt Streitkräfte zur Landesverteidigung auf. Schon heute gibt es große Regionen in Deutschland ohne Militärstützpunkte – in Zeiten asymmetrischer Bedrohungen durch Feinde ohne Uniform und Kriegserklärung wie Terroristen ohnehin schon ein Unding. Die Absicherung großer Räume wie Flughafengebiete ist schon jetzt kaum noch möglich und kann auch von der Polizei nicht geleistet werden. Bei einer weiteren Verkleinerung auf 150.000 Mann (von denen übrigens auch ein großer Teil mit der Ausbildung von jungen Zeitsoldaten beschäftigt wäre) ist eine flächendeckende militärische Präsenz nicht mehr möglich und die Fähigkeit zur Landesverteidigung Gschichte.

Auch die Bündnisverpflichtungen können nicht mehr wahrgenommen werden. Die in Berlin derzeit  kursierenden Zahlen sind noch nicht endgültig, aber ein Heer von 47.000 Mann, eine Luftwaffe mit 19.000 und eine Marine von 9.000 Soldaten (die anderen in Streitkräftebasis und Sanitätskräfte) sind in den Augen vieler Experten nur noch lächerlich und sollten bei der Nato am besten gar nicht mehr gemeldet werden. Die Berliner Sparpolitiker brauchen der Debatte um die militärische Schlagfähigkeit einer solchen Truppe nicht einmal auszuweichen, weil die Fragen nicht mehr gestellt werden. Guttenberg läßt sich als jungdynamischer Sparminister feiern, der anders als seine beiden Vorgänger Jung und Struck die Dinge energisch angeht. Wohin das führen wird, interessiert nicht, denn als wahlentscheidend gelten Militärthemen seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr.

Selbst an ihr eigenes Weißbuch von 2006 will sich die Bundesregierung nicht mehr erinnern: Danach soll Deutschland dazu fähig sein, regionalen Krisen und Konflikten, die Deutschlands Sicherheit beeinträchtigen können, wenn möglich vorzubeugen und zur Krisenbewältigung beizutragen. Weiterhin sei das Ziel, globalen Herausforderungen, vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, zu begegnen und – besonders wichtig – „den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes zu fördern“.

Davon kann in Zukunft keine Rede mehr sein. Deutschland wird noch ein paar Schiffe zur lückenhaften Überwachung in Nord- und Ostsee unterhalten und ein paar Flugzeuge zur Kontrolle des Luftraums. Große Transportflugzeuge werden nicht mehr benötigt, weil es nichts mehr über weite Distanzen zu transportieren geben wird. Panzertruppen sind ohnehin schon fast Geschichte. Dabei müßte der Beitrag Deutschlands zur gemeinsamen Sicherheit seiner Größe entsprechen. Der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) brachte die Sache im Spiegel auf den Punkt. „Mit allem Respekt: Wir sind nicht Luxemburg“.

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