© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Harte Zeiten
Großbritannien: Finanzminister George Osborne verkündete radikales Sparpaket / Maßnahmen sollen die Kreditwürdigkeit erhalten und Investoren beruhigen
Derek Turner

Drei Tage vor dem G8-Gipfel in Kanada gab der britische Finanzminister George Osborne Einzelheiten über das radikale Sparpaket bekannt, mit dem die neue Koalition aus Torys und Liberaldemokraten (Libdems) den Haushalt bis 2016 ausgleichen will. Ende 2009 lag Großbritannien mit einer Staatsverschuldung von über 68,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwar noch unter dem Wert von Deutschland (73,2 Prozent). Die jährliche Neuverschuldung von 155 Milliarden Pfund entspricht aber mit über 11 Prozent der des Euro-Pleitekandidaten Spanien (JF 26/10). Fast die Hälfte des Nationaleinkommens verschluckt der Staat. Damit nähert sich das Vereinige Königreich griechischen Verhältnissen. Um eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit und eine Verunsicherung von Investoren zu vermeiden, muß die Regierung beweisen, daß sie es ernst meint mit dem Sparen.

Dies soll vornehmlich durch Ausgabenkürzungen erreicht werden. Die wichtigste Ausnahme bildet die für 2011 geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von 17,5 auf 20 Prozent – davon verspricht sich David Camerons Kabinett Mehreinnahmen von 13 Milliarden Pfund pro Jahr. Auf Lebensmittel, Kinderkleidung, Druckerzeugnisse und Medikamente soll weiterhin keine Mehrwertsteuer erhoben werden. Die Regierung argumentiert, diese Maßnahme sei fair, da sie alle Bürger gleichermaßen treffe. Nicht nur Linke sehen das anders: „Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber“, meinte der Liberaldemokrat Bob Russell, „Geringverdiener sind von der Mehrwertsteuer überproportional betroffen“ (JF 24/10).

Bis 2014 will man im Sozialwesen weitere elf Milliarden Pfund im Jahr einsparen. Darunter fällt das Kindergeld, das zwar weiterhin allen Bürgern zusteht, aber in den nächsten drei Jahren nicht erhöht werden soll. Sozialhilfeempfänger müssen mit Wohngeldkürzungen rechnen, Ansprüche auf Sonderleistungen (etwa bei Berufsunfähigkeit) sollen strenger überprüft werden. Familien mit einem Jahreseinkommen über 40.000 Pfund erhalten weniger Steuererleichterungen, das Rentenalter für Männer wird auf 66 Jahre heraufgesetzt.

Doch das Sparbeil wird auch bei den Regierungsbehörden angesetzt, auf die Kürzungen von etwa 25 Prozent zukommen. Einzelheiten werden erst nach der im Herbst anstehenden Ausgabenprüfung bekanntgegeben. Allerdings hat die Regierung versprochen, keine Streichungen bei der Gesundheitsfürsorge und der Entwicklungshilfe vorzunehmen. Insgesamt sollen dadurch schon im Haushaltsjahr 2014/15 pro Jahr 17 Milliarden Pfund eingespart werden. Beschäftigte im öffentlichen Dienst mit einem Jahreseinkommen über 21.000 Pfund müssen zwei Jahre lang auf Gehaltserhöhungen verzichten. Die weniger verdienen, sollen eine Pauschalaufstockung um 250 Pfund pro Jahr erhalten. Angehörige der Streitkräfte, die in Afghanistan im Einsatz sind, sollen dafür künftig doppelt soviel Geld bekommen.

Bittere Pillen mit ein paar  sozialen Zuckerwürfeln

Weiter plant die Regierung, die Flugsicherung, die Vergabe von Ausbildungsdarlehen und das staatseigene Wettbüro Tote zu privatisieren. Die Post soll teilprivatisiert werden – doch es wird schwer sein, Käufer zu finden. Um dem Volk diese bitteren Pillen schmackhafter zu machen, wurden ein paar Zuckerwürfel daruntergemischt. So werden dank einer Erhöhung des steuerpflichtigen Mindest­einkommens rund 880.000 Geringverdiener künftig keine Einkommensteuer mehr zahlen müssen. Die Höhe der staatlichen Rentenansprüche soll wieder vom Einkommen abhängig gemacht werden. Darüber hinaus verspricht die Regierung, im nächsten Jahr von einer Erhöhung der Gemeindesteuer in England abzusehen und auch die Alkohol- und Tabaksteuer nicht anzutasten. Abgaben, die ab 2011 von britischen Banken und Sparkassen erhoben werden, sollen zwei Milliarden Pfund pro Jahr in die Kassen spülen. Die höheren Steuerklassen müssen tiefer in die Tasche greifen, wenn ihre Kapitalertragsteuer um zehn auf 28 Prozent steigt.

Die Maßnahmen zur Konjunkturförderung – darunter die Senkung der Unternehmensteuer und Sozialversicherungsabgaben für Arbeitgeber, ein regionaler Entwicklungsfonds und Investitionen in einige Großprojekte zur Verbesserung der Infrastruktur – fallen im Gegensatz dazu eher bescheiden aus.

Die Resonanz der Märkte auf den Haushaltsplan war eher positiv, die OECD nannte die Maßnahmen „umfassend“ und „mutig“. Der britische Industrieverband erkannte eine „überzeugende langfristige Wachstumsstrategie“. Zunächst aber werden harte Zeiten auf die Briten zukommen. Prognosen zufolge wird die Arbeitslosigkeit bis 2011 auf acht und die Inflationsrate auf 2,7 Prozent steigen. Im Haushaltsjahr 2013/14  wird die Staatsverschuldung 70 Prozent erreichen. Die Wachstumserwartungen für 2010 liegen inzwischen nur noch bei 1,2 (statt 1,3) Prozent.

Daß diese Sparmaßnahmen von den Libdems als Koalitionspartner mitgetragen werden, nimmt manchem Kritiker den Wind aus den Segeln, zumal die Regierungsparteien klug genug waren, sich auch die Unterstützung einiger angesehener Labour-Politiker zu sichern. Dennoch wird es einiger Überzeugungskraft bedürfen, dieses ehrgeizige Maßnahmenpaket gegen den Widerstand von weiten Teilen der Labour-Partei, schottischen und walisischen Nationalisten, Gewerkschaften und vielen Medien durchzusetzen. Natürlich will niemand einen solchen Haushalt – schon gar nicht eine gerade erst ins Amt gekommene Regierung. Doch angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage scheint er in der Tat alternativlos.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

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