© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Vergangenheit als Kröte im Hals
Tschechische Bewältigung
Daniel Körtel

Skelette im Schrank“ ist die tschechische Entsprechung des deutschen Sprichworts von den „Leichen im Keller“. Das unerwartete Auftauchen eines Amateurfilms über tschechische Massaker an Deutschen kurz nach Kriegsende hat einige davon ans Tageslicht gebracht. Selbst nach dem Umbruch 1989/90 dauerte es zwanzig Jahre, bis dieser Film veröffentlich werden konnte. Daß das gesellschaftliche Klima dies nun ermöglichte, ist vielleicht auch das Verdienst der Schriftstellerin Radka Denemarková, die mit ihrem Ende 2009 auch auf deutsch erschienenen Roman „Ein herrlicher Flecken Erde“ den Tabubruch gegen den vom früheren Präsidenten Vaclav Havel gezogenen Schlußstrich unter die dunklen Kapitel der jüngeren Vergangenheit Tschechiens wagte.

„Ein herrlicher Flecken Erde“ erzählt die Geschichte der Gita Lauschmann/Lauschmannová, die 16jährig kurz nach Kriegsende als einzige Überlebende ihrer Familie aus dem KZ in ihre Heimat, das böhmische Dorf Puklice, zurückkehrt. Doch in der Zwischenzeit ist ihre begüterte Familie enteignet worden, der Vater trotz seiner jüdischen Herkunft als Kollaborateur und „Ehrenarier“ diffamiert. Das ausschlaggebende Schuldmerkmal: „In der Familie von Lauschmann wurde Deutsch gesprochen, und so wurde auch die Buchhaltung geführt.“ Menschen, mit denen ihre Familie noch wenige Jahre zuvor gut ausgekommen war, bereiten ihr nun einen haßerfüllten Empfang. Nur mit knapper Not kann Gita ihr Leben vor den Rotgardisten retten und verbringt die nächsten Jahrzehnte in Prag.

Fünfzehn Jahre nach dem Fall des kommunistischen Regimes kehrt Gita nach Puklice zurück, um die Rehabilitation ihres Vaters zu betreiben. Zwar sind kaum noch Zeitzeugen am Leben, doch die nachgeborene Generation des Dorfes, in dem jeder von dem durch die Benes-Dekrete legitimierten Raubzug an ihrer Familie profitierte, trägt die alten Denkmuster weiter und igelt sich gegenüber „dieser alten Deutschen“ wie in einem Betonbunker ein. Puklices Bürgermeister, der als Sohn des mittlerweile verstorbenen Haupttäters historische Kontinuität verkörpert, schreckt nicht davor zurück Gita zu erniedrigen, indem er in ihrer Vergangenheit nach schmutziger Wäsche wühlt. Das Ende ist tragisch, es findet keine Aussöhnung statt, da Gita noch vor Erreichen ihres Ziels über der Abfassung ihrer Lebenserinnerungen verstirbt.

Mit Gita kreierte Radka Denemarková bewußt eine Mischfigur, die als tschechische Staatsbürgerin katholischer Konfession und deutsch-jüdischer Herkunft alle Grundübel der unbewältigten Vergangenheit Tschechiens – Nationalismus, ethnischer Haß und Antisemitismus – in sich vereinigt. Wie in einem Brennglas fokussiert sich im Dorf Puklice der Zustand der tschechischen Gesellschaft, der sie vorwirft, „Weltmeister im Verdrängen“ zu sein. Hohe emotionale Dichte und die wohltuende Abwesenheit ermüdender Schulddiskurse und kitschigen Aussöhnungspathos zeichnen ihren teilweise ins Tragikomische ausschlagenden Roman aus.

Über die Motive zu ihrem Roman bekannte die 1968 geborene Radka Denemarková: „Ich wollte, daß dieses Buch wie eine Kröte im Hals ist, keine süße Nachspeise nach dem Abendessen.“ Vielen Tschechen ist diese Kröte im Hals steckengeblieben und entsprechend abfällig fielen mit Vorwürfen wie „Nestbeschmutzerin“ die Reaktionen über die Autorin aus. Aber daß sie 2007 mit dem Magnesia Litera, dem renommiertesten Literaturpreis des Landes, geehrt wurde, läßt darauf hoffen, daß man sich in Tschechien doch darauf besinnt, sich den dunklen Schatten seiner Vergangenheit zu stellen.           

Radka Denemarková: „Ein herrlicher Flecken Erde“. Roman. DVA, München 2009, gebunden, 304 Seiten, 19,95 Euro

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