© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Das Unrecht steckt im System
Stéphane Courtois’ Kommunismus-Lexikon klärt über eine noch heute Unheil stiftende Ideologie auf
Detlef Kühn

Der Herausgeber Stéphane Courtois hat vor zehn Jahren das monumentale „Schwarzbuch des Kommunismus“ vorgelegt, in dem endgültig mit dem vor allem bei Links-intellektuellen so beliebten Vorurteil aufgeräumt wurde, der Kommunismus sei eigentlich eine gute Idee, die aber oft nur schlecht in die Realität umgesetzt wurde. Im „Schwarzbuch“ wurde schonungslos klargestellt, daß Unterdrückung, Verbrechen und Terror dem Kommunismus systemimmanent sind. Die Massenmorde Stalins, Mao Zedongs, Pol Pots und vieler anderer kommunistischer Führer, die Millionen und Abermillionen Menschen das Leben kosteten, können seitdem nicht mehr als Kollateralschäden bei der Umsetzung einer prinzipiell humanen Idee verharmlost werden.

An dieses „Schwarzbuch“ knüpft das jetzt auch auf deutsch vorliegende Werk an, das 2007 in französischer Sprache unter dem Titel „Dictionnaire du communisme“ in Paris erschien. Für die deutsche Ausgabe wurde es um ein fast sechzig Seiten umfassendes Kapitel „Kommunismus in Deutschland“ der beiden ausgewiesenen Sachkenner Klaus Schroeder und Jochen Staadt bereichert, die einen guten Überblick über kommunistische Bestrebungen seit dem Ende des Ersten Weltkriegs bis in die Gegenwart hinein geben. Dabei behandeln sie nicht nur die von Moskau geführte Bewegung, die natürlich besonders wirkungsmächtig war, sondern auch die zahlreichen Gruppen und Grüppchen der trotzkistischen und maoistischen Spielart besonders in Westdeutschland.

Die Anfänge der kommunistischen Idee bereits im 11. Jahrhundert und ihre ideologische Entwicklung über die französischen Revolutionen von 1789 bis 1871 und die Oktober-Revolution in Rußland werden von Courtois und seinen 19 Co-Autoren beschrieben, die auch für die zahlreichen Artikel des „Glossars“ verantwortlich zeichnen. Hier werden in alphabetischer Reihenfolge von Afghanistan und Afrika bis Zhou Enlai und Zivilgesellschaft über rund 650 Seiten die wichtigsten Länder, Personen, Ereignisse und ideologischen Strömungen behandelt, die weltweit mit dem Begriff Kommunismus verbunden werden können.

Der umfassende Anspruch bringt es mit sich, daß die Ausführung oft nur eine verkürzte Darstellung erlaubt. Dies wäre nicht weiter problematisch, wenn der Einstieg in vertiefende Studien ermöglicht würde. Leider ist das nicht der Fall. Als Quellen werden nur die etwa fünfzig Positionen einer insgesamt zwei Seiten umfassenden „Bibliographie“ angegeben. Die meisten der hier genannten Darstellungen sind in französischer Sprache erschienen.

Im gesamten Text wird grundsätzlich auf Fußnoten und Quellenangaben verzichtet. Das erhöht zwar die Lesbarkeit, schließt aber inhaltliche Fehler nicht aus. Im Artikel „Berliner Mauer“ – verantwortlich ist der Historiker und Politikwissenschaftler Patrick Moreau – wird für die Zeit von 1952 bis 1961 behauptet, in Berlin seien „Grenzübergänge geöffnet“ geblieben, „auch wenn die beiden Teile der Stadt ab Januar 1953 nur noch durch die U- und S-Bahn miteinander verbunden“ gewesen seien. In Wahrheit konnte man bis zur Errichtung der Mauer 1961 praktisch überall die Sektorengrenze überschreiten. Für die Zeit nach dem 13. August heißt es: „Der berüchtigte Checkpoint Charlie verbindet als einziger Grenzübergang in der Stadt die Bundesrepublik Deutschland mit der DDR.“ Auch das trifft nicht zu. Es gab weitere Grenzübergänge, die allerdings die Masse der West-Berliner  – geschweige denn die Ost-Berliner mit Ausnahme der Rentner – lange Zeit nicht benutzen durfte. Der Checkpoint Charlie war für Ausländer reserviert. Auch wurden – im Gegensatz zur Zonengrenze nach Westdeutschland – in und um Berlin herum nicht „Tausende von Minen“ verlegt. Keine gravierenden Fehler; aber sie lassen Zweifel an der Detailgenauigkeit auch der übrigen Texte aufkommen. Das Plakat Nr. 1 aus Moskau vom Juli 1920 im Bildtafelteil enthält nicht, wie der erläuternde Text behauptet, auf russisch „das bekannte Marx-Zitat: ‘Proletarier aller Länder, vereinigt euch’“, sondern einen Gruß an den II. Parteitag der Kommunistischen Internationale – vielleicht unwichtig, aber jedenfalls auch kein Beweis für besondere Sorgfalt.

Zusammenfassend kann man sagen, daß der Titel „Handbuch“ etwas zu hoch gegriffen ist und Erwartungen weckt, die das Buch nicht erfüllen kann und wohl auch nicht erfüllen will. Die Beibehaltung des französischen Titels „Dictionnaire“ als „Wörterbuch“ wäre vielleicht ehrlicher gewesen. Das Buch ist ein gut lesbares, einführendes Werk in Geschichte und Gegenwart des Kommunismus, bedarf aber weiterer vertiefender Lektüre. Insofern ist es sicherlich ein geeignetes Instrument für die politische Bildungsarbeit und ein Gegengewicht gegen jede einseitige Konzentration auf den „Kampf gegen Rechts“.

Während Nationalsozialismus und Faschismus seit 1945 im staatlichen Bereich nicht mehr wirkungsmächtig sind, kann man dies vom Kommunismus – trotz des unrühmlichen Endes der Sowjetunion vor zwanzig Jahren – nicht behaupten. In China, Kuba, Nordkorea sind kommunistische Parteien nach wie vor an der Macht. In anderen Ländern, nicht zuletzt in Rußland, haben die kommunistischen Eliten wesentliche Teile ihrer einstigen Macht behaupten können, auch wenn sie jetzt auf dem kapitalistischen Klavier zu spielen versuchen. Stéphane Courtois und seine Mitarbeiter weisen mit wünschenswerter Deutlichkeit auf diese Sachverhalte hin.       

Stephane Courtois, Hrsg.: Das Handbuch des Kommunismus. Geschichte, Ideen, Köpfe. Piper Verlag, München 2010, gebunden, 848 Seiten, 49,95 Euro

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