© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Der stille Krieg
Schäden in Milliardenhöhe: Häufig lassen sich deutsche Unternehmen leichtfertig abschöpfen
Michael Wiesberg

Die Affäre um elf mutmaßliche Spione, die in den USA für Rußland spioniert haben sollen, hat ein Gewerbe in die Schlagzeilen gebracht, das im verborgenen arbeitet. Gemeint sind die Geheimdienste, die nach einer kurzen Legitimationskrise im Zuge der Wende 1989/90 längst neue Zielobjekte definiert haben. Dazu gehört unter anderem die Industrie- und Wirtschaftsspionage. Die Aktivitäten auf diesem Feld steigen parallel zur Weiterentwicklung der IT-Infrastruktur und der weltweiten digitalen Vernetzung an, die bisher nicht vorhandene Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, aber auch der Schädigung und Sabotage eröffnet, wie der aktuelle Verfassungsschutzbericht feststellt. Heutigen Datendieben kommt entgegen, daß sie sich so manche Information gefahrlos aus frei zugänglichen Quellen beschaffen können (Open Source Intelligence), was Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen erheblichen Schaden zufügen kann.

Insbesondere Deutschland soll Zielgebiet von Nachrichtendiensten vor allem aus China und Rußland sein, die hier in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung Spionage betreiben. Daß China, das als Eldorado für Produkt- und Markenpiraterie gilt und Gesetze zum Marken- und Patentrecht weitgehend ignoriert, hier in der ersten Reihe steht, kann nicht wirklich überraschen. Und Rußland hat Europa seit jeher als „Penetrationsraum“ betrachtet.

Die Aktivitäten Rußlands und Chinas sind aber nur ein, wenn auch ein bedeutender Teil der Bedrohungslage, wie aus einer dezenten Andeutung im Landesverfassungsschutzbericht des bayerischen Innenministeriums herausgelesen werden kann. Hier heißt es, „auch in einigen westlichen Staaten“ könne die Wirtschaft „verstärkt auf die Unterstützung ihrer Nachrichtendienste zählen“. Der Bericht beeilt sich aber klarzustellen, es gebe „keine Erkenntnisse für eine systematische Wirtschaftsspionage westlicher Dienste gegen die Bundesrepublik Deutschland“. Mit anderen Worten: Deutschland ist, in welchem Ausmaß auch immer, auch Aktionsfeld der Nachrichtendienste „befreundeter Staaten“.

In diesem Zusammenhang fällt schnell der Hinweis auf das die Erde umspannende, von dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) verwaltete globale Kommunikationsüberwachungssystem Echelon, das auch für die Wirtschaftsspionage eingesetzt werden soll. Über die aktuelle Leistungsfähigkeit von Echelon indes kann nur spekuliert werden, da nach der intensiven Diskussion über dieses System in Europa um die Jahrtausendwende kaum mehr Informationen in den US-Medien veröffentlicht werden. Es kann aber wohl davon ausgegangen werden, daß Echelon aufgrund deutlich gestiegener Rechnerleistungen mittlerweile erheblich effizienter arbeiten dürfte als noch vor zehn Jahren. Die Gründe für die steigenden Aktivitäten im Bereich Wirtschaftsspionage liegen auf der Hand: Es geht darum, dem eigenen Land und den eigenen Unternehmen im globalen „Wirtschaftskrieg“ Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das kann von der Einsparung von Kosten im Bereich Forschung und Entwicklung bis hin zum Ausbremsen von Konkurrenten bei Angebotsausschreibungen reichen, deren Inhalte vorher ausgekundschaftet werden, um dann mit einem attraktiveren Angebot den Zuschlag zu erhalten.

Informanten können dabei unter Umständen „intra muros“, sprich als Mitarbeiter im eigenen Unternehmen sitzen. Deren Motive, Firmeninterna weiterzugeben, sind vielfältig: Angst vor Entlassung in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, finanzielle Engpässe, persönliche Rache aufgrund von erlebten  Frustrationen, aber auch Erpressung oder Korruption. Im übrigen eröffnen „soziale Medien“ wie Facebook oder Twitter aufgrund des sorglosen Umgangs vieler Nutzer mit sensitiven privaten Daten ein dankbares Feld für Rekrutierungsversuche. Gegen diese Art der „Informationsabschöpfung“ können sich Unternehmen nur mit Mühe wehren.

Bedenklich muß stimmen, daß viele – insbesondere mittelständische – Betriebe ihre Sicherheitsaktivitäten aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise eingeschränkt haben. Dabei war mittlerweile bereits jedes fünfte deutsche Unternehmen schon einmal Zielobjekt von Spionageaktivitäten. Experten gehen überdies davon aus, daß die Dunkelziffer der Angriffe auf deutsche Unternehmen noch sehr viel höher liegt. Da kann das Zurückfahren von Investitionen in die Kommunikationssicherheit nur als Sparen am falschen Ende bezeichnet werden. Zu Recht stellt hierzu eine Broschüre des Verfassungsschutzes fest, daß der „wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens“ auch davon abhänge, wie gut es gelinge, „sensible Datenbestände und die elektronische Kommunikation vor Datenverlust und Datenmißbrauch zu schützen“.

Der Schaden, der der deutschen Wirtschaft durch die vielfältigen Aktivitäten der Wirtschaftsspionage entsteht, soll viele Milliarden Euro betragen und überdies bis zu 70.000 Arbeitsplätze „gefährden“. Das wirft die Frage auf, welche Gegenmaßnahmen der deutsche Staat ergreift, um deutschen Unternehmen im internationalen „Wirtschaftskrieg“ beizustehen. Als wichtigste deutsche Sicherheitsbehörde gilt die Abteilung Innere Sicherheit im Bundesinnenministerium, die maßgeblich in die Abwehr von Sabotage und Wirtschaftsspionage eingebunden ist. Daneben ist das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu nennen, in dem eine große Zahl von IT-Spezialisten tätig ist, die sich mit allen Fragen der IT-Sicherheit beschäftigen. Diese Behörden können sicherlich wichtige Hilfestellungen geben und präventiv wirken. Gefordert ist aber vor allem die Politik, die „befreundeten Staaten“ unmißverständlich klarzumachen hat, daß die Bespitzelung deutscher Unternehmen Konsequenzen hat. Entscheidend bleibt indes das Sicherheitsbewußtsein in den Unternehmen selbst. Die Nonchalance, die sich viele hier immer noch meinen leisten zu können, hat nicht selten fatale Konsequenzen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen