© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Stimmungstest nach gebrochenen Versprechen
Japan: Der neue Premier Naoto Kan kündigt vor Oberhauswahlen Steuererhöhungen an / Enttäuschung auf Okinawa / Zersplitterte Opposition
Albrecht Rothacher

Nach ihrem Erdrutschsieg vom August 2009 (JF 37/09) sind die Wahlen zum Sangiin (Oberhaus) am 11. Juli der erste Lakmustest der japanischen Demokraten (DPJ). Nach nur sieben Monaten Amtszeit hatte ihr Premier Yukio Hatoyama Anfang Juni wegen gebrochener Wahlversprechen seinen Rücktritt erklärt. Sein Nachfolger Naoto Kan versprach unter dem Eindruck des Griechenland-Schocks, die künftige Staatsverschuldung einzudämmen und nicht nur zu sparen, sondern auch die unpopulären Verkaufssteuern über kurz oder lang auf zehn Prozent zu verdoppeln (JF 22/10). Gleichzeitig sollen die Unternehmenssteuern von 40 Prozent auf EU-Niveau gesenkt werden.

Wie alle neuen japanischen Regierungen wurde Kan bei seinem Amtsantritt von zwei Dritteln der Wähler mit freundlicher Zustimmung bedacht. Wegen der Steuerdebatte sind seine Zustimmungsraten inzwischen auf 50 Prozent gefallen. Die Japaner sind sich einig, daß bei 220 Prozent Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) etwas passieren muß – die Frage ist nur, was. Angesichts fallender Sparquoten und der wachsenden Überalterung muß sich das Land mittelfristig auch im Ausland verschulden. Dann drohen höhere Zinsen und ein verschlechtertes Rating. Bislang kaufen einheimische Sparer, Rentenfonds, die staatliche Postbank und die Zentralbank noch 95 Prozent die Schuldverschreibungen auf.

Zwar hat die DPJ einige nutzlose Bauprojekte der LDP-Vorgängerregierung gestoppt, doch gleichzeitig wurden im Vorjahreswahlkampf so viele Wohltaten versprochen, daß jetzt zwei umgesetzte Versprechungen – höheres Kindergeld und ein Grundgehalt für die Bauern – unbezahlbar werden. Kan hat zwar im Shugiin (Unterhaus) fast eine Zweidrittel-Mehrheit, doch ist die DPJ – mehr noch als die abgelösten konservativen Liberaldemokraten (LDP) – eine Sammlungspartei sehr unterschiedlicher politischer Fraktionen.

Stärkster Mann im Hintergrund ist nach wie vor Ichiro Ozawa, der Mann der nordjapanischen Bauindustrie, der wegen diverser Spenden- und Immobilienaffären derzeit kein formales Amt mehr innehat, doch als Ex-Generalsekretär und DPJ-Wahlkampfchef die weitaus stärkste Fraktion mit 140 bis 150 von 308 DPJ-Abgeordneten weiter kontrolliert. Seine Taktik ist, die traditionelle LDP-Klientel, die Bauern, Händler, Ärzte und das Baugewerbe, weiter im Stil der alten LDP mit klassischer Subventionspolitik für die DPJ abzuwerben.

Mehrere Abspaltungen von der oppositionellen LDP

Das Anti-Ozawa-Bündnis aus fünf DPJ-Kleinfraktionen, auf das sich Premier Kan stützt, ist wesentlich diffuser. Sie reichen von ehemaligen rechten LDPlern bis zu pazifistischen Ex-Sozialdemokraten. Der auf der Linken starke Gewerkschaftsflügel, auf dessen Mobilisierungskraft die mitgliederschwache DPJ angewiesen ist, will die volle Umsetzung der vielen sozialen Wohltaten aus dem Wahlprogramm. All das kommt sehr teuer, zumal es sich um Dauerausgaben handelt und nicht wie die alten Bauprojekte der LDP um Einmalausgaben.

Aus diesen Schwierigkeiten hat die oppositionelle LDP bislang wenig Nutzen gezogen. Auch sie will staatstragend die Verbrauchsteuern erhöhen. Mental ist sie nach sechs Jahrzehnten an der Macht noch nicht in der Oppositionsrolle angekommen. Eine Serie von Abspaltungen erschütterte statt dessen die Partei. So gründete Ex-Reformminister Yoshimi Watanabe mit seiner „Partei für alle“ (Minna no To) eine moderne Wirtschaftspartei als am ehesten erfolgversprechende Alternative. Im April schuf eine Seniorentruppe um drei siebzigjährige Ex-LDP-Minister die eher rechtsnationale Partei „Steh auf, Japan“ (Tachiagare Nippon). Ihr Chef, Ex-Wirtschaftsminister Takeo Hiranuma, ist ein Adoptivsohn von Baron Hiranuma Kiichiro, der 1939 Ministerpräsident war und 1948 vom alliierten Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten als „Class A“-Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Zudem grummelte es an der ohnehin dünnen LDP-Basis. So gründeten der Bürgermeister von Yokohama, der Vorsteher des 23. Tokioter Bezirks Suginami und der Ex-Gouverneur von Yamagata die regionalorientierte „Partei für den Neubau Japans“ (Nippon Soshinto). Taru Hashimoto, Ex-Fernsehliebling und seit 2008 Gouverneur Osakas, gründete eine Lokalpartei (Ishin no kai) für Osaka.

Die Oberhauswahlen werden auch unter den LDP-Dissidenten die Spreu vom Weizen trennen. Naoto Kan hat bereits angedeutet, er würde gerne mit Watanabes Wirtschaftsliberalen für die eventuell nötige neue Oberhausmehrheit koalieren. Der sozialdemokratische Koalitionspartner war Hatoyama bereits verlustig gegangen. Die zur Splitterpartei geschrumpfte SDP hatte ihm nicht vergeben, daß er die im Stationierungsabkommen mit den USA (JF 7/10) vereinbarte Verlegung einer Hubschrauberbasis in den Norden Okinawas nicht – wie im Wahlkampf versprochen – aufgekündigt hatte. Kan will sich an den Vertrag mit den USA halten. Auf Okinawa wird ihn dies Stimmen kosten. Dennoch liegt seine Partei in den Umfragen deutlich vor der LDP.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Japanologe und Asien-Experte. Er ist Autor des Buches „Die Rückkehr der Samurai. Japans Wirtschaft nach der Krise“ (Springer Verlag 2007).

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