© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Den  fleißigen Immen geht es an den Pelz
Tierschutz: Chemische Agro-Spritzmittel bedrohen Bienenvölker / Unverzichtbar für Bestäubung und Honiggewinnung
Michael Howanietz

In der US-Fachzeitschrift Pediatrics veröffentlichte Studien der Universitäten von Montreal und Harvard bestätigen die mutmaßliche Urheberschaft sogenannter Organophosphate am vermehrten Auftreten des sogenannten Zappelphilipp-Syndrom (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom/ ADHS). Die Höhe der Rückstände solcher Pestizide im Urin der getesteten Kinder zeigte einen unzweideutigen Zusammenhang zu ADHS. Ursache der Krankheit ist demnach eine von derartigen Wirkstoffen hervorgerufene Störung der Nervenreizleitung.

Doch nicht nur Kindern geht die auf chemische Agro-Spritzmittel angewiesene, weil von krankheits- und schädlingsanfälligen Monokulturen geprägte Landwirtschaft an den Kragen. Zahlreiche der petrochemisch hergestellten Substanzen rücken auch den Bienen auf den Pelz, die in von Frühjahr zu Frühjahr geringerer Zahl unsere Wiesen und Wälder aufsuchen. In der kalten Jahreszeit verharren die fleißigen Immen in ihrem kugelförmigen Wintersitz. Sobald die Temperatur merkbar herabsinkt, kommt Bewegung ins Volk. Bewegungsenergie bedeutet Wärme. Auf 25 bis 30 Grad wird die Temperatur im Stock durch körperliche Aktivität hochgeheizt. Anschließend labt man sich an den umgebenden Honigwaben, die den Wintervorrat der Bienen darstellen. Die Tiere legen Reserven für zwei bis drei Jahre an. Zwischen dreißig und einhundert Kilogramm macht der Grundumsatz eines Volkes aus. Alles was die Bienen darüber hinaus sammeln, kann als Vorratsüberschuß betrachtet, abgeerntet und zu Honig verarbeitet werden.

Um den Eigenbedarf inklusive Reserven anzulegen, müssen die Bienen in der warmen Jahreszeit bis zu zehn tägliche Pollensammelflüge auf sich nehmen. Ein einziger dieser Ausflüge kann bis zu sechs Kilometer weit führen. Um die 150 Blüten werden jeweils besucht, also etwa 1.500 Blüten pro Tag. Millionen Blüten müssen angeflogen werden, um ein einziges Glas Honig zu füllen. Zehn Kilogramm vom Menschen abzweigbaren Honig produziert ein durchschnittlich großes Bienenvolk pro Jahr.

Trotz dieser enormen Leistungsfähigkeit der summenden Pollenflieger kann nur ein Teil des heimischen Verbrauches aus inländischer Produktion abgedeckt werden. Ausschlaggebend hierfür ist die Gesamtzahl der Bienenvölker und damit jene der Imker. Beide Zahlen sind rückläufig, was einerseits an der schwer vermittelbaren Attraktivität der Imkerei liegt, andererseits am Rückgang der heimischen Blütenpflanzen (Nektarverarmung durch Wildblumenwiesenverbauung und Züchtungsmethoden) und zunehmenden Erkrankungen der Bienen.

Das rätselhafte Bienenvölkersterben (Colony Collapse Disorder/CCD) hat von den USA ausgehend inzwischen auch Europa erreicht. Sind in einzelnen Bundesstaaten der USA bereits zwischen 50 und 80 Prozent aller Bienenvölker verschwunden, liegen die europäischen Vergleichswerte bei der Hälfte dieser Raten. Gehandelt werden muß deshalb sofort. Man muß nicht auf Albert Einstein zurückgreifen, der der Menschheit nach dem Verschwinden der Bienen nur noch vier Jahre gab, um den drohenden Totalverlust zu bewerten.

Süßungsmittel, Lebensmittel, Heilmittel, in alle diese Kategorien läßt sich Honig einordnen. Von den über 180 nachgewiesenen Wirkstoffen, die das flüssige Gold enthält, sind antibakterielle und antibiotische Eigenschaften die markantesten. Gegenüber Industriezucker lassen die Süßstoffe des Honigs den Blutzuckerspiegel erheblich langsamer ansteigen. Stoffwechselanregende Enzyme, Vitamine, Mineral- und Aromastoffe sowie Pollen gelten allesamt als gesundheitsfördernd.

Achtzig Prozent der heimischen Pflanzen sind auf die Bestäubungstätigkeit der Bienen angewiesen. Obstbau ohne Bienen ist, auch in Zeiten agrarischer Hochtechnologie, undenkbar. Monokulturen bedürfen ausufernder Mengen an Agro-Spritzmitteln, die wiederum fatale Wirkungen für den Organismus der Bienen zeitigen. Gleiches gilt für die gentechnisch veränderte Landwirtschaft.

Die größten Monokulturen, für deren Betrieb Bienenvölker rund ums Jahr über den gesamten Kontinent gekarrt werden, finden sich in Nordamerika. Ebenso die größten Anbauflächen für gentechnisch veränderte Organismen. Diese Form von Streß bleibt europäischen Bienen vorerst erspart. Nicht aber die laut jüngsten Studien bienengefährlichsten, weil Immunsystem und Orientierungssinn der Immen beeinträchtigenden Pestizide der Gruppe Neonikotinoide. Bedenkliche Beizmittel wurden in der Bundesrepublik deshalb bereits teilweise verboten. Ob damit ein Beitrag zur Problemlösung geleistet wurde, wird sich erst nach Ablauf der mehrjährigen Halbwertszeit der Mittel im Boden zeigen.

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