© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Keine Siedlung ohne Mauern
Die Hildesheimer Zypern-Ausstellung zeigt das Männliche als fragile Größe
Karlheinz Weissmann

Im ersten Raum der Zypern-Ausstellung des Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museums sieht man Relikte aus Chirokitia, einer jungsteinzeitlichen Siedlung, mit der die Geschichte der Insel vor etwa zehntausend Jahren begann. Es sind wenige Stücke, Schalen, Axt und beinernes Werkzeug, die das Alltagsleben repräsentieren – eine Ausnahme in dieser Exposition, die sich ansonsten vor allem auf Objekte konzentriert, die in den Bereich der antiken Elitekulturen gehören: Überreste des Kults, Beigaben aus Gräbern der Führungsschicht, wertvolle Stücke, die der Repräsentation dienten.

Bedenkt man die Begrenztheit der Insel, sind Vielfalt und Reichtum erstaunlich. Das hat ganz wesentlich mit ihrer geographischen Lage und Funktion als Handelszentrum im östlichen Mittelmeer zu tun. Bis zur Bronzezeit ernährte sich die Bevölkerung vor allem durch Landwirtschaft. Aber seit dem 2. vorchristlichen Jahrtausend diente Zypern als Drehscheibe, vor allem weil man hier das wertvolle Kupfer fand (der Name Zypern wird von altgriechisch „kyprios“ beziehungsweise lateinisch „aes cyprium“ für Kupfer abgeleitet), das für die Herstellung von Bronze benötigt wurde, und auf den Schiffahrtsrouten von Nordeuropa bis nach Vorderasien Waren transportieren und auf Zypern anbieten oder umschlagen konnte.

Eine so bevorzugte Lage weckte Begehrlichkeiten, und nacheinander kamen griechische, dann phönizische, persische, wieder griechische, ägyptische, römische, byzantinische, arabische und türkische Invasoren. Sie alle hinterließen ihre Spuren, und doch gab es unter der Oberfläche des politischen Wechsels Phänomene langer Dauer. Das gilt vor allem für den religiösen Bereich, jene Kontinuität zum Beispiel, der Zypern die Bezeichnung „Insel der Aphrodite“ verdankt.

In einem Teil der Hildesheimer Ausstellung sind nebeneinander kleine und größere Frauenfiguren aufgestellt, darunter solche, die eine Fruchtbarkeitsgöttin repräsentieren, die zuerst mit Astarte, dann mit Isis, schließlich mit Aphrodite und Venus identifiziert wurde. Am Anfang stand allerdings ein konischer schwarzer Stein, offenbar ein uraltes, noch nicht anthropomorphes Idol, das sich bis in römische Zeit im großen Kultkomplex von Altpaphos befand, in Hildesheim aber nur auf Abbildungen gezeigt wird.

Etwas unklar bleibt, warum kein Bogen in die christliche Zeit geschlagen wurde. Nicht nur, daß einige der weiblichen Figuren mit Kind auf dem Arm spontan an Madonnenbilder erinnern, sondern auch weil direkte Anknüpfungen bestehen; auf den immer noch eindrucksvollen Ruinen des Aphroditetempels in Kouklia gab es eine Kirche, die der Maria Aphroditissa geweiht war – eine Bezeichnung, die man heute allerdings etwas schamhaft verbirgt.

Verglichen mit der erstaunlichen Beharrungskraft des Weiblichen war das Männliche eine fragile Größe. Dafür spricht schon die beschränkte Zahl der Fundstücke aus der Heroenzeit, eine Phase politischer Selbständigkeit verschiedener Stadtstaaten zwischen 750 und 480 vor Christus. Vom Lebensstil der Herren zeugt immerhin eindrucksvoll das Modell einer Quadriga in der Ausstellung, mit Speerwerfer und Fahrer, das einen Eindruck von den dauernden Kämpfen zwischen den kriegerischen Aristokraten der poleis dieser Zeit vermittelt. Auch die Stücke aus dem großen Tempel des Apollon bei Kourion gehören in diesen Kontext, wo der Gott unter anderem als Schutzherr des Waldes verehrt wurde. Eine ähnlich archaische Vorstellung war mit dem Stiergott verbunden, der auf Zypern seit alters geweihte Stätten besaß; unter den Exponaten befindet sich ein schönes Beispiel für die Votivgaben, die während der Bronzezeit als miniaturisierte Heiligtümer mit Hörnerschädeln ausgeführt wurden.

Die Bedeutung der Götter war auf Zypern aber nie so groß wie die der Göttin. Der Tempel der Aphrodite zog Pilgerscharen aus allen Ländern des Mittelmeerraums an, zumal vor der Südküste jener Platz gezeigt werden konnte, an dem die „Schaumgeborene“ dem Meer entstiegen war. Es ist allerdings so, daß das gewohnte, ästhetisierende Bild der Liebesgöttin nur eine Facette der Aphrodite darstellte. Wichtiger war ohne Zweifel die dauernde Identifikation mit der Magna Mater, der „Großen Mutter“, und noch neben jener anmutigen weiblichen Gestalt aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, mit der Zypern für den Fremdenverkehr wirbt, steht der Torso einer hellenistischen Statue, die Aphrodite in Waffen zeigt.

Anlaß für die Ausstellung in Hildesheim ist der 50. Jahrestag der Gründung der Republik Zypern. Man darf angesichts dessen keine übermäßig kritische Darstellung des größeren historischen Zusammenhangs erwarten. Aber es bleibt doch ärgerlich, daß der Jargon des Multikulturalismus mittlerweile in jeden Winkel dringt und auch hier die Gelegenheit genutzt wurde, um dessen Vorzüge oder – wie es die Bundeskanzlerin in ihrem Grußwort tat – die „des Austauschs zwischen Ost und West“ zu feiern.

Tatsächlich ist Zypern seit viertausend Jahren immer eher Objekt als Subjekt politischen Handelns gewesen, was noch einmal überdeutlich an der letzten türkischen Invasion von 1974 abzulesen war. Es ging und geht also weniger um wechselseitige Befruchtung und neue Synthesen, eher um Wanderungsdruck, Schaffung von Einflußsphären, fehlende Zentralgewalt, Kolonisierung, Aufkommen neuer Herrscherschichten und Anpassung der alten, bei gleichbleibender Unterdrückung der Bevölkerung.

Im Fall des eingangs erwähnten Chirokitia hat man übrigens einmal geglaubt, daß diese an einen Hang geklebte Siedlung lediglich Wohnort war und keine Festungsanlage besaß – das Neolithikum als Idyll. Weitere Ausgrabungen haben dieses Bild korrigiert. Die Einwohner hatten sich mit einer starken Mauer umgeben. Gegen welchen Feind die gerichtet war, wissen wir nicht und werden wir nicht erfahren – aber ein Fremder, ein Feind muß es gewesen sein.

Die Ausstellung ist bis zum 12. September im Roemer- und Pelizaeus-Museum, Am Steine 1–2, in Hildesheim täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

Der Begleitband mit Katalog (gebunden, 280 Seiten, mehr als 240 farbige Abbildungen) ist im Theiss-Verlag erschienen und kostet in der Ausstellung 19,90 Euro.

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