© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Staaten haben Interessen, aber keine Moral
Die Unbedarftheit des BND gegenüber „befreundeten“ Geheimdiensten wächst sich in Deutschland zum Standortnachteil aus
Wolfgang Kaufmann

Am 21. Juni stellten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm den Verfassungsschutzbericht 2009 vor. Dabei verwiesen sie nicht nur auf einen erheblichen Anstieg linksextremer Gewalt, sondern auch auf die dramatische Zunahme der Wirtschaftsspionage gegen Deutschland: Insbesondere die elektronischen Angriffe auf Computersysteme von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen hätten eine ganz neue Qualität erreicht.

Die „Hauptträger der Spionageaktivitäten in Deutschland“ nennt der Bericht ebenfalls. Es handele sich um Rußland und China. Dieser Behauptung wird allerdings wohl nur der Glauben schenken, der Udo Ulfkottes neues Buch „Wirtschaftskrieg“ nicht kennt. Zwar verweist auch der Geheimdienst-experte und langjährige Auslands-Redakteur für die FAZ auf das penetrante Treiben chinesischer und russischer Schnüffler, zu denen sich wohl noch allerlei „Kollegen“ aus Südkorea, Japan und Israel gesellen. Ansonsten jedoch vertritt Ulfkotte die Ansicht, daß die größere Gefahr von den Geheimdiensten der „befreundeten“ bzw. verbündeten Staaten ausgehe – allen voran die Dienste der USA, welche seit Mitte der  neunziger Jahre auf Order von Präsident Clinton begonnen hätten, sich für das Geschäftsgebaren ausländischer Unternehmen zu interessieren.

Im Gegensatz zu den Industriespionen aus dem näheren und ferneren Osten sei die National Security Agency (NSA) nämlich in der Lage, mit Hilfe ihres weltumspannenden Echelon-Systems restlos alle E-Mails sowie Telefon- und Faxverbindungen in Deutschland und dem übrigen Europa abzuhören. Was mit den dergestalt gewonnenen Daten passiert, schildert Ulfkotte unter Bezug auf eine Studie der amerikanischen Free Congress Research and Education Foundation: Über eine im Washingtoner Handelministerium angesiedelte Schaltstelle namens Office of Intelligence Liaison gehen die gesammelten Informationen über die ausländische Konkurrenz direkt an führende Wirtschaftsunternehmen der Vereinigten Staaten.

Um welche Firmen es sich dabei handelt, verrät das Buch natürlich auch, indem es auf die üblichen Verdächtigen wie Lockheed, Boeing, McDonnell-Douglas usw. verweist, die bekanntlich aus diversen Ausschreibungen als Sieger hervorgingen, weil sie auf wundersame Weise vermochten, in letzter Minute „modifizierte“ Angebote abzugeben. Als offenes Geheimnis bezeichnet Ulfkotte des weiteren, daß US-Software-Entwickler und Chiphersteller wie Microsoft, Netscape und Intel eng mit der NSA kooperieren, was den Verdacht nähre, daß sie in ihre Produkte geheime „Hintertüren“ einbauen, die den staatlich besoldeten Industriespionen ihre Arbeit noch mehr erleichtern sollen.

Vor diesem Hintergrund kam Josef Karkowsky, vormals Leiter der Bonner Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft, zu folgendem ernüchternden Fazit: „Staaten haben auf dem Gebiet der Wirtschaftsspionage Interessen, aber keine Moral.“ Unmoralisch ist dabei jedoch nicht nur das aktive Tun, sondern auch das vorsätzliche Wegschauen, welches laut Ulfkotte zu einem beliebten Sport in  bundesdeutschen Amtsstuben avanciert sei: Lieber gäben unsere Sicherheitsbehörden deutsche Unternehmen dem Ruin preis, als „befreundete“ Staaten, die sich immer noch wie Besatzungsmächte gerieren, vor den Kopf zu stoßen.

Das veranlaßte den Top-Manager einer großen Elektronikfirma zu der provokanten Äußerung: „Deutschland hat einen Standort-Nachteil: Er heißt BND.“ Dabei unterschlug der frustrierte Mann freilich das zweite, nicht minder schwerwiegende Handicap, nämlich die blauäugigen oder feigen Politiker, welche glauben oder sich wider besseres Wissen einreden, unter Verbündeten und Partnern könne es keine nennenswerte Wirtschaftsspionage geben. Der ökonomische Schaden infolge der geheimdienstlichen Attacken gegen den Produktionsstandort Bundesrepublik beläuft sich laut Ulfkotte auf unzählige Milliarden Euro – immerhin sei jedes fünfte deutsche Unternehmen schon einmal Opfer industrieller Bespitzelung geworden und habe dadurch Wettbewerbsnachteile erlitten. Zu nennen wären hier Firmen wie Airbus, Daimler, BMW und Bayer, aber auch viele mittelständische Betriebe.

Dabei gehen übrigens nicht nur Gewinne verloren (und dem Staat damit Steuereinnahmen). Vielmehr vernichtet die Wirtschaftsspionage gegen Deutschland auch jede Menge Arbeitsplätze – Ulfkotte spricht von 50.000 pro Jahr. Angesichts dessen sollte es im Interesse jedes einzelnen liegen, eine gesunde Wachsamkeit an den Tag zu legen bzw. über Schutzmaßnahmen nachzudenken.

Die konkreten Empfehlungen, welche das Buch hierzu im Schlußkapitel gibt, wirken jedoch reichlich hilflos, sogar naiv, wenn man die zuvor skizzierten Möglichkeiten der NSA und anderer Geheimdienste bedenkt. So rät der Autor etwa zu einem gesunden Mißtrauen gegenüber „Praktikanten, Studenten und Diplomanden aus vielen Gegenden unseres Globus“ und verweist dann abschließend voller Erleichterung auf die bevorstehende Einführung einer Versicherung gegen Wirtschaftsspionage. Außerdem solle man bei Telefonaten „nicht in Panik geraten“, da es Spionen nicht um „Alleweltsgespräche“ gehe, und brisante Kuriersendungen darf man schon einmal als Geburtstagsüberraschung in Flaschenform tarnen – welch ein unfreiwillig komisches Ende für ein ansonsten hochbrisantes und ernüchterndes Buch.

Udo Ulfkotte: Wirtschaftskrieg. Wie Geheimdienste deutsche Arbeitsplätze vernichten. Kopp Verlag, Rottenburg 2010, gebunden, 240 Seiten, 19,95 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen