© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Kolumne
Verlust der Glaubwürdigkeit der Politik
Klaus Motschmann

Was soll man von einer Stadtverwaltung halten, die von einem Gericht daran erinnert werden muß, die üblichen Ordnungsfunktionen wahrzunehmen? Sicher dies: daß in dieser Stadt das Selbstverständliche nicht mehr selbstverständlich ist, was berechtigte Rückschlüssen auf bedenkliche Defizite im Rechts- und Verantwortungsbewußtsein der Stadtväter (und -mütter) zuläßt. Wenn das Selbstverständliche aber offenkundig nicht mehr selbstverständlich ist, dann führt das über kurz oder lang zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit, einem allgemein beklagten Problem unserer politischen Kultur.

In einem Rechtsstaat sollte es zum Beispiel selbstverständlich sein, daß die verfassungsmäßigen Rechte von jedermann in Anspruch genommen werden können, sofern sie nicht verwirkt sind. Dabei sollte selbstverständlich beachtet werden, daß die Verwirkung von Grundrechten und ihr Ausmaß nur durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden können – also nicht durch städtische Ordnungsämter, Bürgerinitiativen, Parteien, Kirchensynoden, Zeitungsredaktionen und sonstige antifaschistische „Hüter der Verfassung“, wie es heute bereits in anmaßender Weise häufig der Fall ist. Gerichte in allen Bundesländern haben auf diese eindeutige Rechtslage immer wieder hingewiesen; zuletzt das Verwaltungsgericht im thüringischen Gera.

Anlaß waren die üblichen Proteste gegen ein „braunes“ Jugendfestival, die auch von der thüringischen Sozialministerin und dem Geraer Oberbürgermeister (beide SPD) unterstützt wurden, so unter anderm durch einen Aufruf im Thüringer Amtsblatt und die finanzielle Unterstützung einer geplanten antifaschistischen Protestveranstaltung unter dem Motto „Gera bunt, tolerant, weltoffen  – Kein Platz für Nazis“.

Nun handelt es sich bei dieser Auseinandersetzung keinesfalls um eine Provinzposse, sondern um eine willkommene Gelegenheit, Entschlossenheit und Notwendigkeit des gemeinsamen „Kampfes gegen Rechts“ zu demonstrieren. Gera ist also kein Einzelfall; sondern eine Bestätigung des Politjargons der Linken: „Gera ist überall“. Die Einzelnachweise können der Tagespresse entnommen werden. Dabei wird deutlich, daß sich der „Kampf gegen Rechts“ zu einem sehr subtilen, aber deshalb auch sehr wirksamen Kampf um die Mitte der Gesellschaft wandelt, das heißt um den Platz im politischen und gesellschaftlichen Spektrum, an dem die Wahlen angeblich gewonnen werden.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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