© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Angela Merkel allein zu Hause
CDU: Nachdem die Partei-Vorsitzende ihre letzten Konkurrenten ins Abseits gedrängt hat, steht die Union ohne Führungsreserve da
Paul Rosen

Lang ist die Reihe der Ausgestoßenen, Zurückgetretenen, Geflüchteten und Wegbeförderten. Wer immer der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel in die Quere kam, ihr gar gefährlich zu werden drohte, konnte sicher sein, über kurz oder lang aus der Führung der Partei herauszufallen. Als erster mußte der Finanzexperte Friedrich Merz gehen. Der Fraktionschef hatte sich selbst als Kanzler empfohlen, was der damalige CSU-Generalsekretär Thomas Goppel mit der Bemerkung verspottete, da sei das Echo vor dem Ruf erklungen. Aber Merkel hatte sich die Ambitionen gemerkt, Merz wurde entsorgt und verabschiedete sich inzwischen aus der Politik.

 Die Zahl der Gegangenen ist groß, so daß die Frankfurter Allgemeine Zeitung in der vergangenen Woche sorgenvoll anmerkte, „erstmals steht die CDU, die in den 61 Jahren der Bundesrepublik 41 Jahre den Kanzler stellte, ohne eine anerkannte Nummer zwei da“. Einen Tag später übernahm Springers Bild in großen Lettern die Geschichte und fragte: „Wer ist Nr. 2 hinter Angela Merkel?” Die Antworten müssen natürlich unbefriedigend ausfallen. Anders als die SPD mit ihrem traditionellem Hang zum Zentralismus ist die CDU nach 1945 in den Ländern unabhängig voneinander entstanden. Erst spät kam es zur Gründung einer locker organisierten Bundespartei. Immer kamen viele Führungsfiguren der CDU, die teilweise als Nummer zwei zählten, aus den Ländern. Da wären etwa zu Helmut Kohls Zeiten Lothar Späth (Baden-Württemberg) oder auch Bernhard Vogel (Rheinland-Pfalz, dann Thüringen) oder Kurt Biedenkopf (Sachsen) zu nennen. Heiner Geißler als ehemaliger CDU-Generalsekretär gehörte bis Ende der achtziger Jahre sicher auch zur Nummer-zwei-Garde.

In der Zeit von CDU-Chefin Merkel fällt auf, daß der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, ein oft gegen Berlin das Messer wetzender Mann konservativen Gemüts, nach Brüssel befördert wurde. Roland Koch (Hessen) warf von ganz allein das Handtuch und zieht sich aus der Politik zurück. Es wird wohl schon so sein, daß Koch an Merkels Führungsstil verzweifelte: Ratschläge oder andere Positionen werden von ihr nicht einmal mehr zur Kenntnis genommen. Das i-Tüpfelchen war der Anruf von Bundespräsident Horst Köhler bei Merkel in der CDU-Zentrale. Die Chefin verließ den Sitzungssaal und erfuhr von Köhler, daß er zurückzutreten gedenke.  Merkel kehrte nach dem Gespräch zur CDU-Führung zurück und sagte dort nichts.

„Im Kern wird Deutschland von drei Frauen regiert“

„Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Frau Merkel einen zentralistischen Führungsstil pflegt“, stöhnt der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann. Im System Merkel würden Entscheidungen zentral getroffen, von oben nach unten. Kollegialen Führungsstil gebe es nicht, bestätigen auch andere CDU-Leute.

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hätte problemlos die Nummer eins werden können, auch wenn er das selbst immer wieder abstritt. In kleinem Kreis lästerte er gerne gegen Merkel, die das umgehend erfahren haben dürfte. Jetzt ist Wulff Bundespräsident und kein Rivale der Kanzlerin mehr. Nach oben wegbefördern nennt man das. Die verbliebenen Ministerpräsidenten der CDU sind unbekannt oder wirklich nur dritte Garnitur. Wer etwa kennt außerhalb Thüringens Christiane Lieberknecht und außerhalb Sachsens Stanislaw Tillich? Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt) ist alt und tritt nicht mehr an. Stefan Mappus (Baden-Württemberg) ist zu jung und zu neu im Amt. Das gilt ebenso für Wulffs Nachfolger als Ministerpräsident, David McAllister (JF 28/10). Peter Harry Carstensen in Schleswig-Holstein ist zu alt. Das gilt auch für Finanzminister Wolfgang Schäuble (67), dem außerdem seine durch ein Attentat erlittene Behinderung mehr zu schaffen macht, als öffentlich bekannt ist. In Hamburg droht Ole von Beust in einen Schulkrieg zu versinken, und die bayerische Schwester, die der CDU mit Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber zwei Kanzlerkandidaten schickte, hat – abgesehen vom Nachwuchsstar Karl-Theodor zu Guttenberg – keine ernstzunehmenden Reserven mehr. Ihr affärengeplagter Vorsitzender Horst Seehofer klammert sich nur noch an sein Amt.

Die von Merkel eingesetzten Landvögte wie der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und die Ministerriege lassen jede Form von Eigenständigkeit vermissen. „Im Kanzleramt agiert mit Ronald Pofalla ein Mann ohne Eigenschaften, der schon als CDU-Generalsekretär keine Lücke hinterließ“, urteilt Hans-Hermann Tiedje in der Neuen Zürcher Zeitung und meint, Pofalla ändere seine Meinung, wie die Fahne im Wind die Richtung wechselt.

„Im Kern wird Deutschland heute von drei Frauen regiert: Angela Merkel, ihrer Büroleiterin Beate Baumann und ihrer Medienberaterin Eva Christiansen“, schreibt Hans-Ulrich Jörges im Stern. Und fährt fort: „Darum gruppieren sich Ich-schwache Ergebene, Hyperloyale ohne eigene Willenskraft: Kanzleramtschef Ronald Pofalla etwa oder CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Handverlesen, handzahm.“ In diesem System von willen- und konturenlosen Charakteren ist es nur zwangsläufig, daß die Politik genauso ausfällt.

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