© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Rot-grüner Weg in den Schuldenstaat
Nordrhein-Westfalen: Der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen beinhaltet viele kostspielige Versprechen und eine Neuverschuldung von neun Milliarden Euro
Ansgar Lange

Wäre vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai auch nur ansatzweise bekannt gewesen, was jetzt im am Montag besiegelten Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen steht, hätte die Union keine Probleme gehabt, die bürgerlicher Wähler zu mobilisieren.

Mit Sicherheit hätten viele Bürger, die von der Politik von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers enttäuscht waren, ihr Kreuzchen doch noch einmal bei der CDU gemacht. Denn der Vertrag des neuen Damen-Duos Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) zeigt bei aller programmatischer Unschärfe, daß beide entschlossen sind, das Land grundlegend umzukrempeln.

Der Koalitionsvertrag trägt die Überschrift „Gemeinsam neue Wege gehen“. Die künftigen Regierungspartner lassen darin allerdings die zündende Idee vermissen, wie sie das größte deutsche Bundesland in die Zukunft führen wollen. Von einem „Fortschrittsmotor Klimaschutz“ und einer „ökologischen industriellen Revolution“ erhofft man sich neue Arbeitsplätze. „Gute Arbeit“, „handlungsfähige Kommunen“ und „sozialer Zusammenhalt“ sind weitere Leerformeln.

Besonders abenteuerlich wird es unter der Überschrift „Gemeinsam mehr möglich machen“. Sind damit etwa die über neun Milliarden Euro neuer Schulden gemeint, die die neue Landesregierung allein für das laufende Jahr aufnehmen will (mehr als Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen)? Bereits jetzt ist NRW mit 122,7 Milliarden Euro verschuldet. Jeder Rheinländer oder Westfale steht mit fast 7.000 Euro in der Kreide. „Schon dafür muß jeder NRW-Bürger pro Jahr knapp 260 Euro Zinsen zahlen – Tilgung und Bundesschulden nicht mitgerechnet. Für seine Zinsen wendet das Land jährlich mehr auf, als zum Beispiel das gesamte Innenministerium zur Verfügung hat. Und das finanziert immerhin Polizei, Feuerwehr und fünf Regierungsbezirke“, rechnet die Rheinische Post vor.

Krafts Schuldenpläne haben mit der Wirtschaftskrise nichts zu tun. Sie sind einzig und allein den teuren Wahlversprechen (Abschaffung der Studiengebühren, Entlastung der Kommunen, beitragsfreies Kindergartenjahr) geschuldet.

SPD und Grüne laden die anderen Fraktionen im Düsseldorfer Landtag dazu ein, bei dieser ideologisch bedingten Politik der Horror-Neuverschuldung zu Lasten späterer Generation – und mit Sicherheit langfristig auch zu Lasten der „sozial Schwachen“ – mitzuwirken. „Wir stellen uns der Diskussion und werden ergebnisoffen und unvoreingenommen an Vorschläge der anderen Fraktionen herangehen. Bei einem fairen Wettstreit um die besten politischen Konzepte wird am Ende Nordrhein-Westfalen gewinnen“, lautet die Lyrik des Koalitionsvertrags. Wer beobachtet hat, wie die beiden Politikerinnen bei den Sondierungsgesprächen mit CDU, FDP und Linkspartei umgegangen ist, weiß, was von solchen Aussagen zu halten ist.

Was steht sonst noch in dem Vertrag, der von den 459 SPD-Delegierten einstimmig und von den rund 280 Grünen-Delegierten bei zwei Gegenstimmen auf ihren Parteitagen am vergangenen Wochenende beschlossen wurde? Die Kopfnoten sollen abgeschafft und die Gemeinschaftsschule vorangetrieben werden. Der Elternwille wird durch die Wiedereinführung der Grundschulbezirke ausgehebelt. Es wäre ja auch noch schöner, wenn Eltern zum Beispiel eine Grundschule für ihre Kinder aussuchen dürften, auf der überwiegend Deutsch gesprochen wird, ätzen Kritiker.

Recht unkonkret bleibt das Papier bei der im Landtagswahlkampf immer wieder mit viel Tamtam geforderten „gerechten Gemeindefinanzierung“. Geradezu wortreich fallen die Ergüsse zum Klimaschutz, zur Windenergie und zum Umweltschutz aus. Da hat die Öko-Lobby, die diese Projekte betreibt, ganze Arbeit geleistet. Autofahrer dürften sich im staureichsten deutschen Bundesland auf härtere Zeiten einstellen oder gleich auf Fahrrad, Bus oder Bahn umsatteln. Die Innere Sicherheit und auch die Kulturpolitik sind riesige weiße Flächen in einer Koalitionsvereinbarung, die es aber dafür mit bestimmten Bevölkerungsgruppen besonders gut meint. Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sollen von einem toleranten NRW profitieren, versprechen die Koalitionäre.

Schon jetzt ist absehbar, daß die Minderheitsregierung auf Gedeih und Verderb der Linkspartei ausgeliefert sein wird. Liberale und Christdemokraten haben dagegen bereits angekündigt, sich fürs erste auf die Oppositionsbänke zurückzuziehen. Das neuerliche rot-grüne „Projekt“ in Nordrhein-Westfalen wird auf jeden Fall Auswirkungen auf die Bundespolitik haben. Viele Beobachter betrachten das für SPD wie für die Grünen gleichermaßen riskante Experiment als Testlabor für ein rot-rot-grünes Bündnis 2013 in Berlin. Die Protagonisten des Wandels scheinen jedoch selbst nicht so recht daran zu glauben, daß die mit heißer Nadel gestrickte Koalitionsvereinbarung das Fundament für eine stabile Landesregierung bilden kann. So haben die grünen Minister vorsorglich ihre Abgeordnetenmandate behalten. Man will ja, wenn das Ganze scheitert, abgesichert sein. Den meisten Bürgern in NRW steht eine Ausstiegsstrategie indes nicht zur Verfügung.

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