© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Regierung ohne Mehrheit
Japan: Mitte-Links-Koalition des Premiers erleidet Niederlage bei Oberhauswahl / China kauft Staatsanleihen / US-Rating-Agentur droht mit Bonitätsabstufung
Albrecht Rothacher

Die Abfuhr der japanischen Wähler für ihre erst seit zehn Monaten im Amt befindliche Mitte-Links-Regierung fiel deutlich aus. Die Koalition aus Demokraten (DPJ) und Volkspartei verlor bei den Oberhauswahlen vom Sonntag 19 Sitze und mußte nach dem Erdrutschsieg bei der Unterhauswahl 2009 ihre Hoffnungen auf eine Mehrheit im Sangiin begraben. Statt dessen gewann die konservative LDP 13 Mandate hinzu. Eine ihrer Abspaltungen, die neue wirtschaftsliberale „Partei Aller“ (Minna no To) von Ex-Minister Yoshimi Watanabe, gewann zehn Sitze. Die rechtsnationale Partei „Steh auf, Japan“ (Tachiagare Nippon) erhielt ein Listenmandat.

Premier Naoto Kan (DPJ), der erst seit Anfang Juni im Amt ist, wies erste Forderungen nach einem Rücktritt und einer Kabinettsumbildung aus dem Lager seines mächtigen innerparteilichen Rivalen Ichiro Ozawa zurück. Ihm wurde von den Wählern vor allem sein Lavieren in der Frage der Erhöhung der Verkaufssteuern von fünf auf zehn Prozent zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen und zur Finanzierung des versprochenen Wohlfahrtstaats angelastet.

Die DPJ war voriges Jahr mit dem Versprechen angetreten, die Wohltaten vom Kindergeld bis zu höheren Mindestlöhnen könnten durch Einsparungen bei Bauprojekten bezahlt werden. Das stellte sich bald als Illusion heraus. Als Kan im Wahlkampf merkte, daß seine Ankündigung höherer Steuern ein Rohrkrepierer wurde, ruderte er zurück und machte alles noch schlimmer. Er wirkte wie sein glückloser Vorgänger Yukio Hatoyama, der nach achtmonatigem erfolglosem Lavieren über die Verlegung eines US-Stützpunkts auf Okinawa zurückgetreten war. Dazu kamen öffentliche Dauerdispute unter den Fraktionen der heterogenen DPJ und Finanzskandale der Führung: verschwiegene Millionenspenden von Hatoyamas Mutter, einer Erbin des Bridgestone-Reifenkonzerns, und dubiose Immobiliengeschäfte und Kommissionszahlungen der nordjapanischen Bauindustrie an Ozawa.

Im September muß der DPJ-Vorsitz neu gewählt werden. Da könnte es für Kan eng werden, sollte er keinen verläßlichen Koalitionspartner finden, um die drohende Blockade aller wichtigen Gesetzesvorhaben im Oberhaus zu überwinden. Außer für den Haushalt, die Wahl des Premiers und für internationale Abkommen, wo eine einfache Unterhausmehrheit genügt, um eine negative Oberhausmehrheit zu überstimmen, benötigt das Unterhaus (Shugiin) ansonsten eine Zweidrittelmehrheit, über die die DPJ jedoch nicht verfügt. Mögliche Koalitionspartner wie die mit der LDP verbündete buddhistische Neue Komeito (NKP) und die unabhängige „Partei Aller“ sagten bereits ab. Watanabe besteht statt auf Steuererhöhungen auf einer gründlichen Verwaltungsreform. LDP-Chef Sadakazu Tanigaki forderte sogar Neuwahlen fürs Unterhaus.

Politische Lähmung und eine Rekordverschuldung

Der LDP war es in vielen ihrer verlorenen Bastionen gelungen, ihre traditionellen Unterstützer-Netzwerke aus konservativen Lokalpolitikern, der Bauindustrie, den Ärzte- und Zahnärzteverbänden und den Agrar- und Fischereigenossenschaften wieder aufzubauen. In jenen ländlichen Präfekturen gingen wieder 21 Sitze an die LDP und nur noch acht an die DPJ. Doch selbst im großstädtischen Kanagawa (Tokio/Yokohama) verlor Justizministerin Keiko Chiba, eine Ex-Sozialistin und Aktivistin für die Abschaffung der Todesstrafe, ihren 24 Jahre gehaltenen Oberhaussitz.

Die Hälfte der 242 Sitze wird alle drei Jahre für ein Mandat von sechs Jahren gewählt. 146 Mandate werden in den Präfekturen direkt gewählt. Dort gewinnen regional bekannte Größen. Der Wahlkreiszuschnitt führte dazu, daß der LDP mit 19,5 Millionen Stimmen 39 Mandate zufielen, der DPJ mit 22,8 Millionen lediglich 28, die sechs Millionen „Partei Aller“-Stimmen brachten nur drei Direktmandate. 96 Sitze werden per Verhältniswahl auf nationalen Listen gewählt. Hier gewinnt oft die Prominenz – für die LDP diesmal die Sängerin Junko Mihara, für die DPJ die Judo-Meisterin Ryoko Tani und für die „Partei Aller“ Kota Matsuda, Gründer der „Tully’s Coffee“-Kette. Die zu Splitterparteien geschrumpften Sozialdemokraten und Kommunisten erreichten zwei bzw. drei Listenmandate.

Politisch schwer angeschlagen und von innerparteilichen Feinden belauert, wird Premier Kan nun kaum noch in der Lage sein, Japans Budget und seine galoppierende Verschuldung zu bremsen. Zwar hat China kürzlich – von noch schlechteren europäischen und US-Wirtschafts- und Währungsdaten besorgt – als Teil einer kurzfristigen Umschichtung für umgerechnet sieben Milliarden Euro japanische Yen-Staatsanleihen gekauft. Falls Peking das fortgesetzt, würde auch Japan – wie die USA und die südlichen EU-Staaten – in die Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern geraten. Bislang hat das Reich der aufgehenden Sonne seine niedrigstverzinsten Staatsanleihen zu 95 Prozent im Inland verkaufen können. Doch immer mehr Japaner kommen ins Rentenalter und lösen ihre Ersparnisse auf. Gleichzeitig treten weniger junge Leute ins Arbeitsleben ein, die fürs Alter neu ansparen. Zu der sich abzeichnenden parlamentarischen Handlungsunfähigkeit der DPJ-Regierung droht weiteres Ungemach vom Finanzmarkt: Sollte sich die öffentliche Haushaltslage Japans weiter verschlechtern, werde das Folgen für die Bonitätsbewertung haben, teilte die US-Rating-Agentur Standard & Poor’s in Tokio mit. Die Herabstufung der bisherigen Bonität von AA würde dann einen Teufelskreis von höheren Zinskosten und Neuschulden auslösen, wenn japanische Staatsanleihen zunehmend im Ausland plaziert werden sollen.

Griechische Verhältnisse drohen trotz der Rekordverschuldung von über 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aber noch nicht. Japans Schulden stehen enorme Ersparnisse, Währungsreserven und Vermögenswerte gegenüber. Das Land ist zweitgrößter Gläubiger der USA. Ein im Krisenfall abgewerteter Yen (der Euro rutschte seit 2008 von 170 auf etwa 110 Yen ab) könnte die Ausfuhren der viertgrößten Exportnation der Welt beflügeln – doch momentan verharrt der Yen weiter auf seinem hohen Niveau.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Japanologe und Asien-Experte. Er ist Autor des Buches „Die Rückkehr der Samurai. Japans Wirtschaft nach der Krise“ (Springer Verlag 2007).

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