© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

„Die heutige Schreibtischmoral ist geradezu peinlich“
Die 20.-Juli-Expertin Barbara Koehn kritisiert in einem ihrer letzten Interviews die Verleumdung des konservativen Widerstands
Moritz Schwarz

Frau Professor Koehn, haben Sie Ihr Buch „Der deutsche Widerstand gegen Hitler“ (La résistance allemande contre Hitler) ausschließlich für das französische Publikum geschrieben?

Koehn: Es war tatsächlich ursprünglich für ein französisches Publikum gedacht. Ich habe 1997/98 im Rahmen der Lehrerschafts-Prüfungen für den Deutschunterricht an der Universität Rennes eine Vorlesung über den deutschen Widerstand gehalten. Die Reaktion einiger Studenten („Ja hat es denn das überhaupt gegeben? Einen deutschen Widerstand? Wir haben davon überhaupt noch nie gehört“) haben mich dann zum Verfassen des Buches animiert. Interessant ist auch, daß sich der ursprünglich desinteressierte französische Verlag erst aufgrund der Intervention meiner französischen Studenten zugänglich zeigte.

Wie wurde ihr Buch in Frankreich aufgenommen?

Koehn: Sehr interessiert. Das französische Publikum ist sehr erpicht auf historische Darstellungen, das gilt auch auf der politischen Linken. Man erwartet, daß der Autor den Leser vor die Bühne der Geschichte führt und dort die Handelnden dramatisch agieren läßt und er mit ins Geschehen hereingezogen wird. Ohne auf die Präzision einer umfassenden Aufklärung verzichten zu wollen, soll Geschichte auch ein moralisches Erlebnis sein. Das gilt natürlich gerade für den Widerstand. In Frankreich ist man, was die eigene Résistance betrifft, eine Heroisierung gewöhnt, selbst der kommunistische Widerstand wird in diese Heroisierung mit einbezogen.

Anders als in Deutschland?

Koehn: Natürlich. Hier gibt es nicht mal einen Nationalfeiertag für den 20. Juli, was ich außerordentlich bedauere und was man vom französischen Standpunkt überhaupt nicht versteht. Die positive Darstellung des 20. Juli in der Historiographie nach dem Kriege wurde nach 1968 in Deutschland primär „kritisch“ gegen den Strich gebürstet.

Wen meinen Sie damit konkret?

Koehn: Historiker wie Wolfgang Mommsen, Manfred Messerschmidt oder Wolfram Wette. Letzterem bin ich einmal begegnet, wir hatten ein sehr nettes Gespräch beim Essen. In der Frage des deutschen Widerstands ergab sich jedoch keine Übereinstimmung. Wette sagte mir, man müsse an dem Andenken dieser Leute kratzen, man müsse sie von ihrem Sockel herunterstürzen – eine Heroisierung des Widerstands des 20. Juli sei sogar völlig falsch.

Sie sehen die Darstellung des Widerstandes in Deutschland also mehrheitlich in den Händen von Historikern, die letztlich eine gewisse Demontage beabsichtigen?

Koehn: Ja, ganz gewiß. Man weigert sich, von einem deutschen Widerstand zu sprechen. Man gewichtet nach politischen und ideologischen Unterschieden verschiedener Gruppen. Das ist schon eine Schwächung. Ich bestehe auf dem einen deutschen Widerstand aufgrund der Übereinstimmungen, die sich schließlich in den Reformplänen darstellen. Diese sind sich sehr ähnlich, von rechts und von links, weil sie eben von Männern konzipiert worden sind, die ich alle mehr oder weniger der Konservativen Revolution zurechnen möchte.

Inwiefern ist es falsch, den Widerstand differenziert zu betrachten?

Koehn: Weil man sich weigert, anzuerkennen, daß die Reformprojekte des deutschen Widerstands insgesamt auf derselben Linie liegen. Man verteufelt die konservativen Reformprojekte als „antimodern“ oder gar reaktionär. Positiv wahrgenommen werden hingegen sozialdemokratische oder ganz links stehende Reformprojekte, weil es in die gegenwärtige politische Landschaft paßt.

Wie gefährlich ist diese Rezeption des Widerstands für die gegenwärtigen und kommenden Generationen in Deutschland?

Koehn: Gefahren sehe ich vor allem in der Darstellung des konservativen militärischen Widerstands, der einer Verleumdungskampagne ausgesetzt ist. Man wirft ihnen Antisemitismus und Hegemoniestreben oder – wie das Herr Messerschmidt formuliert hat – eine „Teil­identität mit den Zielen der Nazis“ vor.

Müßte nicht von den Angehörigen dieser Widerstandskämpfer dagegen Einspruch erhoben werden?

Koehn: Die meisten schweigen, weil sie wohl den Eindruck haben, daß sie sowieso nicht gehört werden. Ich weiß von einer Familie, die furchtbar unter den Angriffen gegen ihren Vater leidet. Die Familie kann es gar nicht fassen, daß ihr Vater von dieser Historikergilde antisemitischer Verbrechen beschuldigt wird, obwohl sie genau wissen, daß er niemals antisemitisch eingestellt war. Die Angehörigen sind wohl auch deshalb mutlos geworden, weil keine Historiker kontradiktorisch die andere Seite vertreten.

Tatsächlich keiner?

Koehn: Ich sehe niemanden. Ich bin Mitglied der Forschungsgemeinschaft 20. Juli. Und ich kann Ihnen sagen, ich kämpfe da einen einsamen Kampf, bin sogar von einer Dame, die vor einiger Zeit noch die Leitung hatte, „faschistischer Ansichten“ verdächtigt worden. Vorträge von mir weist man in der Forschungsgemeinschaft grundsätzlich ab.

Aber die Stiftung 20. Juli steht doch hinter der Forschungsgemeinschaft und wird öffentlich getragen?

Koehn: Vielleicht ist das gerade der Punkt. Ich nehme an, weil man eben öffentliche Gelder in Anspruch nimmt, da macht man Kotau vor diesen Institutionen und möchte sich nicht zu weit vorwagen. Ich diskutierte auch mit jungen Historikern, die mir schon vorgeworfen haben, daß ich mit meinen Argumenten ihre ganze Arbeit zerstöre. Ich habe dann dem jungen Mann entgegnet: „Wenn Ihre Arbeit so leicht zerstörbar ist, mein Herr, dann müssen Sie da vielleicht noch einmal ein bißchen nachforschen.“

Sie kritisieren in Ihrem Buch auch, die Geisteshaltung heutiger Historiker klammere die Bewertung aus, daß auch ein Saulus zum Paulus werden könne – man bewerte also selbst den Apostel Paulus immer nur unter dem Gesichtspunkt, daß er eben ein Saulus war. Ist das nicht eine völlige Mißdeutung des Widerstands?

Koehn: Natürlich, absolut. Ich denke, das kommt daher, weil diese Historiker sich nicht in totalitäre Gesellschaften hineinversetzen können, nicht begreifen können, was eine solche Gesellschaft bedeutet hat. Sie haben nicht die geringste Ahnung, was es für einen Mut verlangt hat, gegen ein solches Regime zu handeln. Deshalb ist diese Schreibtischmoral dieser Leute, die immer wissen, wie man es hätte machen sollen, auch geradezu peinlich!

Läuft diese Entwicklung nicht sogar Gefahr, in semi-totalitäres Fahrwasser zu geraten?

Koehn: Wenn sich die Forschung  nur noch an Bekenntnissen orientiert oder an bloßem Karrieredenken, dann ist dieser Entwicklung tatsächlich die Bahn bereitet.

 

Prof. Dr. Barbara Koehn (1932–2009) lehrte bis zu ihrer Emeritierung 2001 Germanistik und Geschichte an der Universität Rennes. Sie war Mitglied der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944“ und lebte zuletzt in Paris. Ihr Buch „La résistance allemande contre Hitler“ ist unter dem Titel „Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Eine Würdigung“ 2007 bei Duncker&Humblot in Berlin erschienen.

 

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