© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

ARD-Serie „Deutschland – Deine Künstler“: Ulrich Tukur
Mit Knickerbocker und Dandyhut zu Weltruhm
Herdis Helgenberger

Schauspieler sollen Menschen sein, die dir nicht zuhören, wenn du nicht über sie sprichst. Ulrich Tukur ist einer, den man irgendwann von ganz alleine hört. Der Mann spielt Akkordeon und Klavier, singt in einer Tanzkapelle (Ulrich Tukur & die Rhythmus Boys), tritt in Varieté-Theatern auf, ist Sprecher von Hörbüchern und hat sogar selbst ein Buch geschrieben. Hinzu kommt ein ausgesprochenes Faible für die goldenen zwanziger und frühen dreißiger Jahre, das Tukurs Lebensstil bis in jeden Winkel beherrscht, von der Schellackplattensammlung bis zu den geliebten Knickerbocker-Hosen, die er zu Schnurrbärtchen und Dandyhut trägt.

Ulrich Tukur, der seit seiner Rolle im Oscar-prämierten Überraschungserfolg „Das Leben der Anderen“ als bester deutscher Schauspieler gehandelt wird, ist resistent gegen Systemzwang. Zuschauerquoten sind ihm keine Garanten für Qualität, und auch sein Image als ernsthafter Charakterdarsteller muß wohl als Zufallsprodukt seiner jeweiligen künstlerischen Laune durchgehen, die ihn mal für diese, mal für jene Produktion zusagen ließ. Die rote Linie seines Schaffens erhält sich dennoch durch seine nicht zu übersehende Präferenz für Nazi-Rollen. Aber so einen wie Tukur fasziniert gerade nicht das glatte, unbeirrbar moralfeste Heldentum, sondern das brüchige, ambivalente Charakterbild: Im Film „Der Stellvertreter“ spielt er den Chemiehändler Kurt Gerstein, den das Grauen, das er in den von seiner Firma mit Zyklon B belieferten Gaskammern erlebt, in den Widerstand zwingt. „Man kann aus jedem Menschen alles machen“, antwortet der Schauspieler auf die Frage seiner Porträtistin, wie er sich unter dem Hitler-Regime verhalten hätte. Wozu der große Regisseur Peter Zadek seinen einstigen Eleven geformt hat, ist indes offenkundig: einem brillanten Charakterschauspieler von internationalem Renommee, der sich seine Rollen aussuchen kann.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen