© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

„Verhandlungen zwischen Staat und Mafia“
Italien: Nach dem Dauerärger mit der Justiz bringen nun auch Koalitionsprobleme Regierungschef Berlusconi in Bedrängnis
Hans Christians

Daß italienische Politiker unter Verdacht geraten, mit der Mafia zu kooperieren, ist nichts Neues. Es muß daher schon viel vorfallen, damit die Lage so brenzlig wird, wie sie sich derzeit für Premier Silvio Berlusconi darstellt. Der Mailänder Medienunternehmer war 1994 an die Spitze der italienischen Politik gelangt. Daß dabei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein soll, munkeln viele.

Doch vorige Woche erhielten die Gerüchte neue Nahrung. Giuseppe Pisanu von der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL) ließ die Bombe platzen. Der 73jährige Ex-Innenminister ist derzeit Chef der Anti-Mafia-Kommission im Parlament. „Es gab so etwas wie Verhandlungen zwischen Staat und Mafia“, sagte er rückblickend auf die frühen Neunziger. Pisanus Thesen sorgen für Aufregung, weil sich erst kürzlich ein Gericht mit dieser Thematik auseinandersetzte. In einem Berufungsverfahren war die Strafe gegen den Ex-Senator Marcello Dell‘Utri (PdL) von neun auf sieben Jahre verkürzt worden.

Laut dem erstinstanzlichen Urteil war der 68jährige Sizilianer Verbindungsmann zwischen der Cosa Nostra und Berlusconi. Gemeinsam hatten die beiden 1993 die PdL-Vorgängerpartei Forza Italia (FI) gegründet. Verdankte Berlusconi also seine Politkarriere der Mafia, die nach dem Zerfall der Christdemokraten (DC) einen neuen „politischen Arm“ brauchte? Wie ist es zu erklären, daß er über seinen Aufstieg zum Milliardär schweigt und daß der Mafia-Terror mit der FI-Gründung aufhörte? Und warum brachte Dell‘Utri einen Mafioso als Stallburschen in der Villa Berlusconis unter? Berlusconi behauptet, von alldem nichts gewußt zu haben.

Vorige Woche mußte zudem Staatssekretär Nicola Cosentino (PdL) zurücktreten, nachdem er wegen Bestechung und Camorra-Verbindungen ins Visier der Justiz geraten war. Zuvor mußten bereits die PdL-Minister Claudio Scajola und Aldo Brancher wegen angeblicher Betrügereien ihre Ämter aufgeben. Bei Cosentinos Rücktritt soll Abgeordnetenkammerpräsident Gianfranco Fini (PdL) im Hintergrund die Fäden gezogen haben. Der sich inzwischen immer mehr liberal gebende Fini hatte einen Mißtrauensantrag der linken Opposition unterstützt. Alle Versuche Berlusconis, seinen neuen PdL-Parteifreund Fini nach öffentlich ausgetragenen Haßtiraden loszuwerden, scheiterten.

Berlusconi braucht Finis Anhänger für die Parlamentsmehrheit. Auch das umstrittene Abhörgesetz, das die Verwendung abgehörter Telefonate einschränken soll, treibt die Bürger auf die Barrikaden. Tausende Journalisten legten für kurze Zeit ihre Arbeit nieder, auch aus dem Lager der regierungsfreundlichen Zeitungen hagelte es Kritik. Hochrangige Ermittler befürchten, daß der Kampf gegen die Mafia künftig noch schwerer werden würde.

Berlusconi macht sich unterdessen auf die Suche nach neuen Verbündeten. Im Auge hat er vor allem Pier Ferdinando Casini und dessen christdemokratische UDC. Die UDC gehörte jahrelang zum Berlusconi-Bündnis, wechselte aber in die Opposition, nachdem sich Casini weigerte, seine Partei wie Finis Alleanza Nazionale 2009 in Berlusconis Sammlungsbewegung PdL aufgehen zu lassen. Doch der Friede in der PdL ist ohnehin brüchig, vor allem nachdem der Premier mit seinem Plan scheiterte, seinen Rivalen Fini mittels eines Ausschlußverfahrens kaltzustellen.

Fini, der 1994 die neofaschistische Sozialbewegung MSI in die rechtskonservative Alleanza Nationale (AN) umwandelte, galt nach dem Zusammenschluß zur PdL als Berlusconis Kronprinz. Mit dem Plan, nun Casini wieder in die Regierung einzubinden, versucht Berlusconi seine Macht zu retten. Doch dadurch droht ihm bereits neues Ungemach. Sein treuer Koalitionspartner Umberto Bossi von der föderalistischen Lega Nord läuft bereits Sturm: „Die UDC steht für einen zentralistischen Staat. Da machen wir nicht mit. Notfalls gehen wir in die Opposition.“

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