© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Wo das Volk sprechen darf
Demokratie contra Parteienstaat: Die Hamburger Schul-Abstimmung und das Vorbild der Schweiz
Baal Müller

Das hat gesessen! In Hamburg hat das Volk gesprochen und der Obrigkeit einen kräftigen Denkzettel verpaßt. Besonders symptomatisch war der Ausgang der Hamburger Volksabstimmung über die von der schwarz-grünen Regierung geplante Schulreform deshalb, weil es sich bei dem Ziel, „ein längeres gemeinsames Lernen“ zu fördern, um ein Projekt sämtlicher in der Bürgerschaft vertretenen Parteien handelte. Dem wurde nun vergangenen Sonntag von der Elterninitiative „Wir wollen lernen“ um den Rechtsanwalt Walter Scheuerl (JF 8/10) der Garaus gemacht: auf der einen Seite die von etablierten „Qualitätsmedien“ wie Zeit und Spiegel sekundierte Allparteienkoalition und auf der anderen eine private Vereinigung, die so intensiv wie erfolglos als Lobbygruppe egoistischer Besitzstandswahrer verunglimpft wurde.

Trotz des ungleichen Kräfteverhältnisses ist das deutliche Ergebnis von 58 Prozent für die Reformgegner nicht überraschend, schließlich werden die Vorgaben der politischen Klasse regelmäßig abgeschmettert, wenn dem Volk von seinen „Vertretern“ doch einmal eine Entscheidungsfreiheit zugebilligt wurde – wenn überhaupt irgendwo, dann zeigte sich ein gemeinsamer europäischer Wille in der Ablehnung des Euro oder des Lissabon-Vertrags. Das von den Eurokraten praktizierte Verfahren, das Volk als dummen Lümmel zu beschimpfen und Abstimmungen wiederholen zu lassen, bis das Ergebnis „paßt“, verbietet sich der Hamburger Einheitsfront von CDU bis Linkspartei indes vorerst, da gerade die Grün-Alternative Liste (GAL) der so deutlich gescheiterten Schulsenatorin Christa Goetsch die rechtsverbindliche Wirkung solcher – wohlweislich mit hohen Hürden versehenen – Volksabstimmungen durchgesetzt hat.

Die Einheitsschule als Endziel linker Reformen

Zwar werden die Grünen nun, da die vom Kinnhaken der Elterninitiative und dem Rücktritt Ole von Beusts wankende CDU nicht nur in Hamburg angezählt ist, auf ein linkes Bündnis hinarbeiten, aber auch eine rot-grüne Koalition (mit oder ohne Beteiligung der Linkspartei) wird zumindest für eine gewisse Zeit ihre schulpolitischen Vorstellungen nicht allzu aggressiv und selbstherrlich vorantreiben können. Wenn nicht einmal eine sechsjährige Primarschule anstelle der traditionellen vierjährigen Grundschule durchsetzbar ist, weil die Mehrheit der Eltern einen möglichst frühen Wechsel an eine weiterführende Schule bzw. die Trennung der leistungsstärkeren von den schwächeren Schülern wünscht, ist das Endziel aller linken Schulreformen – die Einführung der Gesamtschule zwecks Abschaffung aller „ungerechten“ Separierungen – kaum durchsetzbar, jedenfalls solange es noch halbwegs bildungsorientierte Mehrheiten unter den Eltern oder allgemein der schulisch interessierten Bevölkerung gibt.

Zwei Punkte spielten bei der Hamburger Schuldiskussion eine unterschwellige und von Gegnern wie Befürwortern der Reform, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, wenig thematisierte Rolle: Erstens wäre die abgelehnte De-facto-Verlängerung der Grundschulzeit um zwei Jahre nicht zu einem so bedeutsamen Prestigeprojekt hochgejubelt worden, wenn man sie nicht als Schritt auf dem Weg zur Einheitsschule betrachten würde – in bewährter Salamitaktik gelang es wieder einmal, der sozialdemokratisierten, windelweich gespülten CDU eine Scheibe abzuschneiden –, und die Akzeptanz der Verlängerung wäre als Einstieg in den Kampf um ein noch längeres „gemeinsames Lernen“ genutzt worden. Zweitens handelt es sich bei der Auseinandersetzung nicht, wie stets suggeriert wird, um eine Austragung sozialer Gegensätze, sondern hinter ihr schwelt längst der Kampf der Kulturen, der gerade in Hamburg zunehmend gewalttätig ausartet.

Das Schweizer Modell ist attraktiver als das der EU

Das Ansinnen, „sozial Schwache“ besser fördern zu wollen, kann kaum jemand ablehnen, ohne als asozial und kaltherzig dazustehen. Es war daher für die Reformbefürworter ein konsensfähigeres Argument als ihre – zunehmend kritisch gesehene – Neigung, integrationsunwilligen Migranten (vornehmlich aus dem islamischen Kulturkreis) entgegenzukommen. Umgekehrt taten die Gegner der Reform gut daran, diese Dinge nicht explizit anzusprechen, wären sie dann doch schnell mit der Keule des „Rechtsextremismus“ zu erschlagen gewesen.

Der Ausgang der Hamburger Volksabstimmung ist weder eine Besonderheit aus einem norddeutschen Stadtstaat noch ein spezifisch schulpolitisches Phänomen – zu gleicher Zeit veröffentlichte die Schweizer Weltwoche die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, in der die Bewohner der französischen, italienischen, österreichischen und deutschen Nachbarregionen der Schweiz gefragt wurden, ob sie der Eidgenossenschaft beitreten würden. Die Zahlen sind eine Ohrfeige für die politische Klasse in Europa: Überall wäre man mehrheitlich bereit, nicht nur persönlich, sondern durch einen Beitritt seiner jeweiligen Heimatregion, Schweizer zu werden, wofür neben wirtschaftlichen und steuerlichen Erwägungen vor allem die eidgenössische direkte Demokratie mit ihrer Möglichkeit zu bindenden Volksabstimmungen als Gründe genannt wurden.

Der Umfrage war eine innenpolitische Auseinandersetzung vorausgegangen, bei der die gewöhnlich als „rechtspopulistisch“ titulierte Schweizerische Volkspartei den Beitrittsspieß umgedreht und, nicht ganz ernsthaft, gefordert hat, anderen Ländern einen Beitritt zur Schweiz zu erlauben, statt nur über deren Anschluß an die Europäische Union zu diskutieren.

So abwegig diese Debatte erscheint, so eindeutig zeigt sie doch, daß das Schweizer Modell überall attraktiver ist als das der EU, und bestätigt freiheitlich-konservative Positionen, ohne daß sich deren Vertreter allzu sehr darüber zu freuen hätten, denn die Zustimmung zum Schweiz-Beitritt ist gerade unter jüngeren und sich selbst als konservativ oder rechts einordnenden Menschen besonders hoch. Offensichtlich ist deren Selbsteinschätzung weniger durch Patriotismus als durch eine Distanz zum politischen System motiviert.

Die Richtung, in welche die Signale aus Hamburg wie aus Baden-Württemberg weisen, ist jedoch eindeutig: Den Parteien und ihren willfährigen Medien muß Stückchen für Stückchen mehr echte Demokratie aus den Klauen gewunden werden.

Foto: Wegweiser in ein Hamburger Wahllokal zum Volksentscheid: Kampf der Kulturen

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