© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Der Unverwüstliche
Mozart über alles: Würzburger Festspielsaison 2010
Werner Veith

Von Bayreuth bis Salzburg, von Luzern bis Schleswig-Holstein öffnen sich zur Zeit die Konzertsäle. Die Festspielsaison 2010 hat begonnen. Neben den weltberühmten Festivals erfreuen oft beschauliche Musikwochen den Kunstliebhaber. Beispiel: das Mozartfest in Würzburg. Einige Impressionen.

Blitzlicht eins: Joachim Kaiser – der Unverständliche. Angekündigt ist der Altmeister der deutschen Musikkritik zum Thema „Mozarts noble Ferne“. Doch er spricht einfach zu schnell und zu undeutlich zur Eröffnung des Mozartfests. Keiner versteht den 81jährigen Kaiser, der früher so verständlich im RIAS Berlin und im Bayerischen Rundfunk plauderte. Zum Nachlesen gibt es dafür Kaisers neunzehnseitige Festrede unter www.mozartfest-wuerzburg.de.

Um so klarer spricht der Oberbürgermeister. Seine Empfangsarie dauert über fünfzehn Minuten, in der er zahlreiche Gäste begrüßt. Dann kommen die rund fünfzig Konzerte zur Sprache, prominente Künstler werden erwähnt: die Pianisten Christian Zacharias und Martin Stadtfeld, Dirigenten wie Andras Schiff und Thomas Hengelbrock. Die harte Konkurrenz im nahen Bad Kissingen verschweigt man lieber. Dort warten Sängerinnen wie Cecilia Bartoli und Waltraud Meier, Pianisten wie Lang Lang und Grigory Sokolov.

Immer wieder erklingt Musik. Zum Beispiel wird das Kegelstatt-Trio von Mozart gespielt, das der Meister beim Kegeln komponiert haben soll. Wie eine Schlangenbeschwörerin windet sich Sharon Kam mit ihrer Klarinette, wiegt ihren Körper im Takt der Musik.

Blitzlicht zwei: Pfusch mit Mozart.  Richtig schlechte Musik gab es auch zu hören. Zwei Hörner folgten einer konfusen Melodie, die Geigen wiederholten sich ständig monoton, harmonische Melodien begannen pathetisch und verloren sich im Kammerorchester der Hochschule für Musik Würzburg. Grausige Momente. Wer war schuld? Die Musiker? Der Dirigent? Oder das schwüle Wetter?

Kurzerhand unterbrach Dirigent Bruno Weil die Aufführung und sagte, Wolfgang Amadeus Mozart habe fehlerhaft komponiert. Selbstbewußt gab er den Hornisten und den Geigern kurze Anweisungen – und schon war der Wohlklang gesichert. „Mozart hat in seinem ‘musikalischen Spaß’ absichtlich schlecht komponiert, es war eine Parodie auf schlechte Komponisten wie den Würzburger Abbé Vogler“, erklärte Weil.

Mozart ist freilich ein Meister der Leichtigkeit und Eleganz. Das bewies Albrecht Holder in einem Fagott-Konzert (KV 191). Der Professor an der hiesigen Hochschule erzeugte einen angenehm warmen und dunkelfarbigen Ton mit seinem fast mannshohen Holzinstrument.

Nach der Pause führte Weil als erfahrener Lotse durch die Prager Sinfonie – mit viel Energie, tänzelnd und federnd. Er erschien fast wie ein Tanzbär, der mit seinem Impulsstrom über dreißig Musiker anfeuert. Hier zeigt sich, daß Weil ein Könner seines Fachs ist. Mozart dirigierte er an der Wiener Staatsoper über hundert Mal. Bei ihm spürt man richtig, wie sich in der Prager Sinfonie schon der Bösewicht „Don Giovanni“ ankündigt, der im Barockgarten bei Kerzenschein die Frauen anspricht, und im Gartensaal verführt – wie ein Jörg Kachelmann des 17. Jahrhunderts, der zwischen geometrisch geschnittenen Bäumchen und Hecken das Wetter erklärt.

Blitzlicht drei: Sol Gabetta – die Überkandidelte. Angekündigt ist eine Weltklasse-Cellistin, die auf sich warten läßt. Dann, endlich, im roten, schulterfreien Kleid rauscht sie auf die Bühne und beginnt ein Konzert von Haydn voller Energie. Ihr ganzer Oberkörper vibriert um das Cello wie ein Zitteraal. Man möchte nicht ihr Halswirbel sein. Ihr Kopf springt rechts und links vom Cellohals hin und her. Und weil sie sich körperlich total verausgabt, ist klar, daß sie nicht länger als eine halbe Stunde spielen kann. Ob sie wirklich so überragend ist, wie behauptet wird? Vielleicht hochgeputscht durch eine Musikindustrie, die auf junge Blondinen steht? Auf jeden Fall spielen ihre Begleiter vom Basler Kammerorchester nicht viel schlechter. 

Blitzlicht vier: Trompeten in der Wallfahrtskirche. Wer an diesem Samstagnachmittag auf den Berg der Wallfahrtskirche „Käppele“ hochwanderte, der hatte seine Sünden in der Sommerhitze bestimmt ausgeschwitzt. Als Belohnung gab es ein kühles Gotteshaus, eine freundliche Begrüßung durch Bruder Markus, Chef der dortigen Kapuzinergemeinschaft, und beeindruckend spielende Musiker: der Organist Matthias Grünert von der Dresdner Frauenkirche sowie die Solo-Trompeter Mathias Schmutzler von der Staatskapelle Dresden und Rainer Auerbach von der Deutschen Staatsoper in Berlin. Exquisit: seidenschimmernde, langgedehnte Trompetensolos; kurze, schneidende Bläserstöße; oder weiche Girlanden, die das Orgelspiel verzieren. Immer wieder schlendern Orgel und Trompete Hand in Hand, folgen der gleichen Melodie. Später übernimmt die Trompete die Führung, dann wieder die Orgel, die mit ihren 31 Registern und über 1.700 Pfeifen ein ganzes Orchester simulieren kann.

Zu Gehör kamen Vivaldi, Bach, Haydn, natürlich Mozart. Unsichtbar spielten auf der Orgelempore die Meister ihres Fachs – und traten erst ans Geländer, als sie sich für den üppigen Beifall der etwa 250 Zuhörer bedankten.

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