© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Plattdeutscher Patriot
Nachgetreten: Eine befremdliche und überflüssige Ausstellung zu dem Schriftsteller Gorch Fock
Hans-Joachim von Leesen

Man weiß nicht recht, warum in der Kieler Universitätsbibliothek derzeit eine Ausstellung über den norddeutschen Schriftsteller Gorch Fock unter dem Titel „Mythos, Marke, Mensch – Werk und Wirkung“ gezeigt wird. Nur fünf Minuten benötigt der Besucher, um einen Blick zu werfen auf in Glasvitrinen liegende Ausgaben einiger Bücher von Gorch Fock, drei oder vier vergrößerte Porträtfotos und eine an die Wand gepinnte Tabelle mit Lebensdaten des Dichters.

Aus dem Ausstellungskatalog ist zu erfahren, daß der norddeutsche Dichter wegen seines „kritiklosen Patriotismus“ und seiner „blinden Verehrung alles Nationalen“ nicht nur ein „patriotischer Seefahrtsfanatiker“ war, sondern daß aus seinen Büchern auch eine „verzweifelte Sehnsucht nach der mannhaften Bewährung im Krieg für das Vaterland“ spricht. Pazifistische und „eher unpatriotische Verse“ findet man in seinem Werk hingegen nicht. Und das alles schätzt Rüdiger Schütt, ein Bediensteter der Universitätsbibliothek, der für die Ausstellung zuständig ist, gar nicht, was wohl auch erklärt, daß die Ausstellung betont lieb- und phantasielos gestaltet wurde.

Befürchtet Schütt, daß eine neue Welle des Patriotismus über Deutschland zu schwappen droht, gegen die es zu agitieren gilt? 1983 glaubte das offenbar eine Gruppe junger linker Germanisten, als sie sich zusammentat, um in einem Kolloquium „Mundartliteratur/Heimatliteratur am Beispiel Gorch Fock“ die gefährlichen Tendenzen in den damals noch weit verbreiteten Büchern aufzuzeigen. Der Sammelband der damals gehaltenen Referate trägt den Titel „Gorch Fock – Werk und Wirkung“, womit er dem der Ausstellung erstaunlich ähnlich ist. Und tatsächlich bietet denn auch der neue Ausstellungskatalog in weiten Teilen nichts als einen verdünnten Aufguß der damaligen vom Geist der 68er geprägten Vorträge, die gehalten wurden, weil, wie der Herausgeber schrieb, „die Wirkung seines (Gorch Focks) Werks und vor allem seines Mythos bis in die Gegenwart reicht“.

Johann Kinau, der sich als Schriftsteller Gorch Fock nannte, wurde als ältestes Kind einer Familie von Seefischern auf Finkenwerder, einer zu Hamburg gehörenden Elbinsel, geboren. Sein dringendster Wunsch war es, ebenfalls ein Fischer zu werden. Das blieb ihm verwehrt, weil er zu schmächtig und daher den harten Anforderungen des Berufes nicht gewachsen war. So absolvierte er eine Kaufmannslehre. 1907 wurde er Buchhalter bei der Hamburg-Amerika-Linie.

Fock schildert das harte Leben der Hochseefischer

Schon als junger Mann begann er  überwiegend in seiner Muttersprache, dem Finkenwerder Plattdeutsch, Gedichte und Erzählungen zu schreiben, die von norddeutschen Zeitungen gern veröffentlicht wurden. Nach einigen vom Publikum gut aufgenommenen Büchern mit Erzählungen, die meist an der Küste oder auf dem Meer spielten, erschien 1913 der in wenigen Wochen entstandene umfangreiche, in Hochdeutsch geschriebene Roman „Seefahrt ist not!“. Nur die Dialoge wurden auf Niederdeutsch wiedergegeben. Gorch Fock schilderte darin das harte Leben der Hochseefischer, und er zeigt, wie der Mensch die Herausforderungen besteht, auch wenn am Ende die zentrale Person des Romans, Klaus Mewes, den der Autor gern mit dem Attribut „der Lachende“ versieht, mit seinem Fischerboot im Kampf mit der Natur in der Nordsee untergeht. Der Optimismus, der Wille zum Leben, das sind die Hauptmerkmale der Helden in Gorch Focks Büchern. Von traumatisierten oder an sich selbst zweifelnden Menschen ist in seinen Werken nicht die Rede.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Gorch Fock der Überzeugung, daß er Deutschland aufgezwungen wurde. Er schreibt einige niederdeutsche Gedichte, in denen er seinen Landsleuten Mut zuspricht. Er verhöhnt auch England, das er der Heuchelei zeiht. 1915 wird der 35jährige nicht zur Marine, sondern zur Infanterie eingezogen und kämpft in Serbien und Rußland, später auch an der Westfront. Er bemüht sich, zur Marine versetzt zu werden, was ihm Anfang 1916 gelingt. Nun dient er auf dem Kleinen Kreuzer SMS „Wiesbaden“. In seinen Tagebüchern bejaht er seinen Kriegsdienst. Am 31. Mai 1916 stoßen vor dem Skagerrak die britische und die deutsche Flotte aufeinander. Die „Wiesbaden“ wird zusammengeschossen, bis sie, sich bis zuletzt wehrend, sinkt. Gorch Focks Leiche wird nach einem Vierteljahr nördlich von Göteborg an Land getrieben. In den Taschen seiner Uniform findet sich seine Kladde mit den Aufzeichnungen, die er bis zum letzten Tag geführt hat. Er liegt auf der unbewohnten Felseninsel Stensholmen zusammen mit anderen gefallenen deutschen und britischen Seeleuten begraben.

1925 erschien eine Gesamtausgabe seiner Werke in fünf Bänden. Sein Hauptwerk „Seefahrt ist not!“ wurde zu einem Volksbuch. Viele Deutsche verehrten den Autor regelrecht, wohl nicht zuletzt weil man eine ungebrochene Linie zwischen dem, was er geschrieben hat, und seinem Leben und Tod zu erkennen vermeinte. 1933 benannte die Reichsmarine ihr Schulschiff nach dem Dichter.

Zwar verbot nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg der Alliierte Kontrollrat zusammen mit über 34.000 anderen Büchern auch Gorch Focks posthum erschienenes Tagebuch aus der Kriegszeit, doch tat das seiner Popularität keinen Abbruch, 1949 erschien „Seefahrt ist not!l“ im 442.–446. Tausend. 2005 ist im Sutton Verlag eine Neuauflage herausgekommen. Es liegt auch als Hörbuch bei Polarfilm Medien vor.

Kampagnen gegen Fock waren erfolgreich

1965 erschien in der Frankfurter Rundschau ein Beitrag eines Egbert Hoehl, der behauptete, daß die „Blut-  und-Boden-Literatur“ – und er führte als Beispiele die Werke von Gorch Fock, Hermann Löns, Walter Flex und dem Arbeiterdichter Heinrich Lersch an – eine „fatale erzieherische Tendenz“ haben. Sie müßten daher aus dem Schulunterricht verbannt werden, Tatsächlich wurden Gorch Focks Werke, wie im Ausstellungskatalog zu lesen, ein Jahr später aus den Lehrplänen „getilgt“.

Die Kampagnen gegen Gorch Fock und seine Zeitgenossen waren erfolgreich. Nur das Schulschiff der Deutschen Marine, ein Nachbau des Schulschiffes von 1932, trägt noch seinen Namen. Außerdem ein Aquavit und eine Wurstsorte aus Flensburg. Mit der Ausstellung in der Kieler Universitätsbibliothek wird nur noch dem toten Löwen ein Tritt gegeben.

Am 22. August jährt sich zum 130. Male der Geburtstag Gorch Focks. Aber dann ist die Kieler Ausstellung längst geschlossen.

Gorch Fock: Seefahrt ist not! Sutton Verlag, Erfurt, broschiert, 240 Seiten, 9,90 Euro

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