© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Fanfarenzug Potsdam: Mit Preußens Gloria und einer vorzüglichen Jugendarbeit
Im Gleichschritt, Marsch
Steffen Königer

Was bleibt haften von der Fußball-Weltmeisterschaft? Die Vuvuzela, das nervigste und lauteste Fußballspielbegleitungselement überhaupt. Dabei ist dieses „Kunststoffinstrument“ gar keine Weltneuheit und schon gar keine „Rache für die Apartheid“. Klänge dieser Art gibt es schon lange.

Wer nun auf das elefantenmäßige, sonore Gebrumm steht, wem das Getröte zu fehlen droht, der kann sich in wenigen Tagen mit einer Großveranstaltung in Potsdam abhelfen. Ein Nervtötfaktor ist jedoch nicht gegeben, denn im Stadion Luftschiffhafen werden echte Instrumente mit Choreographien in Verbindung gebracht.

Ende Juli geht es um den Titel „Bester Fanfarenzug der Welt“

Hauptdarsteller ist dabei ein bereits in der Bibel erwähntes Utensil: die Fanfare. Also ein Blechblasinstrument mit uralter Tradition. Da ein einzelner Bläser wohl ziemlich komisch wirken würde und auch seinerzeit in Jericho kaum etwas ausgerichtet hätte, tut man sich in Zügen zusammen und bettet das Ganze mit anderen Begleitinstrumenten in ein Programm ein.

Der Potsdamer Fanfarenzug ist in diesem Jahr im Hochsommer zum zweiten Mal nach 2001 Gastgeber der Weltmeisterschaften von Fanfarenzügen und Marching Bands. Vom 26. Juli bis zum 1. August wird dem Zuhörer beileibe nicht nur sinnloses Dröhnen wie von wildgewordenen Hornissenschwärmen geboten. Unter www.fanfarenzugpotsdam.de kann sich jeder Zuhör- und Zuschauwillige mit Informationen und Karten versorgen. Achtung: Das Stadion am Rande Potsdams faßt nur 4.500 Zuschauerplätze, vorherige Reservierung wäre empfehlenswert.

Doch auch der Nichtkartenbesitzer kommt auf seine Kosten. Am 31. Juli werden alle Züge durch die Potsdamer Innenstadt paradieren und auf dem Luisenplatz vor dem Brandenburger Tor ein Großkonzert geben. Zur Zeit stehen Formationen aus Brasilien, Italien, Taiwan, Polen, Thailand, Malaysia, Irland, Deutschland und Dänemark bereit, um ihre Programme zum besten zu geben.

Auf den ersten Blick erinnert eine solche Formation ein wenig an DDR-Zeiten, wenn in FDJ-Aufmärschen am Politbüro vorbeistolziert wurde. Ein Irrtum, geht doch die Tradition bis in das 15. Jahrhundert zurück, wo sich das „Fahrende Volk“ in Gauklergruppen mit seinen Trompetenkunststückchen das tägliche Brot verdiente. Sogar richtige Privilegien genossen die oft als Nachrichtenübermittler genutzten Bläser. 1623 wurde die „Reichszunft der Cammeradschaft der Feldtrompeter und Heerpauker“ gegründet, die sich strenge Ordnungen gab und den Mißbrauch des Intrumentes unter Strafe stellte.

Die ersten Fanfarenzüge hatten nur Naturtrompeten und Kesselpauken in ihren Reihen. Mit der Zeit setzte sich die Landsknechts-trommel als häufigstes Begleitinstrument durch, jedoch erweiterte sich die Palette mit Parforcehörnern, kleinen und großen Trommeln und Becken. So können heute nicht nur die guten alten Märsche oder James-Last-Stücke zum Zuge kommen, sondern auch Beatles, Stones & Co. fehlen in keinem Programm.

Zum Repertoire von traditioneller Fanfarenmusik bis hin zu modernen Rhythmen werden in der Musikschau interessante Figuren gelaufen. Als Ergebnis hundertmal geübter Abläufe.

Doch nicht nur in der ehemaligen DDR wurde kräftig ins Blech gepustet, die südwestlichen Bundesländer hatten schon lange vor 1989 zahlenmäßig die größten organisierten Musikzüge, worunter auch die Spielmannszüge oder die Feuerwehr-Blaskapellen fallen. Heute gehören der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V. (BDMV) ungefähr 1,3 Millionen Mitglieder an, 18.000 vorwiegend ehrenamtlich geführte Orchester sind dort organisiert. Zu ihnen zählt auch der Potsdamer Fanfarenzug, einer der erfolgreichsten seiner Zunft.

Im Jahr 1963 gegründet, sicherten sich die damaligen „Bezirkshauptstädter“ DDR-Meistertitel im Abonnement und ließen die Erfolgsserie mit einer hervorragenden Jugendarbeit auch nach der Wende nicht abreißen.

Ob im Jahr 1996 in Kanada, 1998 in London, 1999 in Sydney oder im Jahr 2001 in Potsdam – „bester Fanfarenzug der Welt“ ist mehr, als im Fußball im selben Zeitraum möglich war. Also nichts wie hin und den einhundert aktiven Potsdamern von sieben bis vierzig Jahren die Daumen drücken, daß es klappt mit dem Titel für Deutschland.

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