© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

„The Fog of War“ auf Arte: Robert McNamaras Gedanken über Töten, Krieg und Frieden
Eindringliche Lektionen für das neue Jahrtausend
Silke Lührmann

Ein Kalter Krieger zieht Bilanz: Vor laufender Kamera legt Robert McNamara (1916–2009) Rechenschaft ab über die Lektionen, die er in einem langen Leben – insbesondere in jenen sieben Jahren, als er zwischen 1961 und 1968 als US-Verteidigungsminister Weltgeschichte hautnah miterlebte und -gestaltete – gelernt hat. Regisseur Errol Morris, der sich mit Dokumentarfilmen zu ausgefallenen Themen einen Namen gemacht hat, begnügt sich hier mit gelegentlichen Einwürfen aus dem Off. Dabei überläßt er dem Mann mit dem schütteren Haar und imposanten Zahlengedächtnis keineswegs das Feld, sondern rückt ihn immer wieder an den linken oder rechten Bildrand, wo sich McNamara buchstäblich mit Händen und Füßen, jedenfalls aber mit erhobenem Zeigefinger und manchem Kraftausdruck jeglichen Verdachts erwehrt, im Laufe seiner Karriere katastrophale Fehlentscheidungen getroffen zu haben. Die Zerstörung von 67 japanischen Städten mit Brandbomben durch die US-Luftwaffe, der 50 bis 90 Prozent der örtlichen Zivilbevölkerung zum Opfer fiel, könne man durchaus als Kriegsverbrechen ansehen, räumt der daran als hochrangiger Offizier maßgeblich beteiligte McNamara ein – noch verwerflicher aber sei der Abwurf der beiden Atombomben gewesen. Die Menschheit, so mahnt er an, müsse sich „mehr Gedanken über das Töten machen“. Daß McNamaras Lektionen aus der Kuba-Krise und dem Vietnamkrieg für das neue Jahrtausend erst recht brisant bleiben, braucht Morris’ Film von 2003 nicht eigens zu erwähnen.

Neben der atmosphärischen Filmmusik von Philip Glass macht vor allem McNamaras lebhafte Mimik und Gestik das über eineinhalbstündige Interview für den Zuschauer interessant. Leicht verdauliche Kost für heiße Sommertage sieht anders aus, doch die Anstrengung, sich auf diese Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte einzulassen, lohnt sich allemal.

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