© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Unter Beobachtung
Der Verfassungsschutz und der Preis der politischen Bevormundung
Günter Bertram

Diesmal traf es die Linkspartei – genauer: deren früheren Bundestagsabgeordneten und jetzigen Fraktionsvorsitzenden im thüringischen Landtag Bodo Ramelow. Ihm waren im Jahre 1999 im Landtagswahlkampf von der CDU Vorwürfe gemacht worden, deren Quellen er in den Dossiers des Kölner Verfassungsschutzamtes vermutete, so daß er in mehreren Instanzen gegen die Behörde auf Unterlassung aller Erhebungen über seine Person geklagt hatte.

Das Kölner Verwaltungsgericht hatte ihm Ende 2007 recht gegeben: Selbst wenn das Amt seinen Verdacht auf Verfassungsfeindlichkeit nur noch auf allgemein zugängliche Quellen (also weder Wanzen noch Agenten) stütze, sei schon das öffentliche Stigma, als Verfassungsfeind unter amtlicher Beobachtung zu stehen, mit dem grundrechtlich verbrieften freien Abgeordnetenmandat unvereinbar. So entschied im Jahr später als Berufungsinstanz auch das Oberverwaltungsgericht Münster, das einen Verdacht auf Verfassungsfeindlichkeit der Linkspartei zwar für begründet hielt, der Mandatsfreiheit des persönlich unverdächtigen Klägers aber das entscheidende Gewicht beimaß.

Das Kölner Amt ging in Revision nach Leipzig vor das Bundesverwaltungsgericht, und es schien Beobachtern der Verhandlung, in der die Richterbank dem Amt recht skeptische Fragen stellte, daß der Leipziger Senat genauso wie die Vorinstanzen entscheiden werde. Es kam anders. Das Gericht wies Ramelows Klage ab, bescheinigte ihm wiederum zwar persönliche Untadeligkeit, versäumte auch nicht, die überragende Bedeutung der Mandatsfreiheit herauszustreichen, fand jedoch, daß „Die Linke“ so viel dubiosen Anhang (repräsentiert von Sahra Wagenknecht und anderen) mitschleppe, daß diese Last auch Ramelow als führendem Funktionär der Partei zurechenbar, das Dossier aus „allgemeinen Quellen“ über ihn mithin statthaft sei. Ramelow kündigte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil an, wird also in Karlsruhe weiterfechten.

Deshalb ist im Augenblick rein juristisch nur wenig zu sagen – allenfalls, daß die Chancen des Beschwerdeführers nicht allzu schlecht stehen. Allgemein neigt Karlsruhe seit seinem Beschluß in Sachen JUNGE FREIHEIT vom Mai 2005 (JF 27/05 ) zu einer strengeren Sicht auf die Verfassungsschutzämter: auf deren Praxis, Meinungen nach mehr oder weniger willkürlichem eigenen Ermessen als verdächtig zu qualifizieren und in ihren jährlichen Berichten mißliebige Konkurrenz der etablierten Parteien oder politische Abweichler als dubios öffentlich an den Pranger zu stellen.

Hier kommt hinzu, daß Ramelow – obwohl nur „beobachtet “ – als Mandatsträger einer legalen Partei sich mittelbar auf deren verfassungsrechtliche Privilegien berufen kann. Auch liegt die Vermutung nicht fern, daß dem Senat, der mit seiner fragwürdigen Volksverhetzungsentscheidung vom 4. November 2009 lebhafte Irritationen hervorgerufen hat (JF 49/09), die Gelegenheit willkommen sein könnte, wieder zu demonstrieren, daß er immer noch ein Hort grundrechtlich garantierter Freiheit ist.

Die politischen Motive dieses Spiels sind schwer zu durchschauen: Die Empörung der Linkspartei über den Leipziger Spruch klingt freilich etwas überdreht, ist sie selbst inzwischen doch stark geworden, gut vernetzt, anspruchsvoll, wird hofiert und politisch umworben, so daß ihr Streit mit dem Kölner Amt – bei dem sie auch auf publizistischen Beifall rechnen kann – für sie zwar eine Ehrensache ist, aber kein existentieller Konflikt.

Politisch führt an den Linken ohnehin bald kein Weg mehr vorbei. Auch ohne Intervention aus Karlsruhe würde das Bundesamt (Ramelow: „meine Kölner Fürsorgebehörde“) hier über kurz oder lang die Segel streichen müssen, ebenso die wenigen Landesämter, die die Linke immer noch in ihren Berichten führen.

Das entscheidende Motiv, die Linke einstweilen mit Nadelstichen noch nicht ganz zu verschonen, liegt vermutlich anderswo: dem Bestreben, eine notorische Asymmetrie etwas zu verschleiern: „www.NRWGegenRechts.de“ stand bis 2001 auf dem Glanzumschlag der Düsseldorfer VS-Berichte. Dann zog das Amt aus taktischen Gründen vor, seine Parteilichkeit dem interessierten Publikum nicht weiterhin so ungeniert auf die Nase zu binden. Doch tatsächlich halten sich bis heute fast alle Verfassungsschutzämter an das Schlagwort „Der Feind steht rechts!“ –  und „rechts“ ist alles, was nicht links ist, keineswegs allein die NPD und ihr Anhang.

Da kann es nützen, wenn diese vormundschaftliche Parteinahme ein wenig vernebelt wird, dadurch etwa, daß auch die Linkspartei oder ihre Vertreter – wie hier der Verfassungsfeindlichkeit persönlich unverdächtige Bodo Ramelow – gepiesackt werden; augenzwinkernd oder im Ernst: wer will das entscheiden?

Wird das Leipziger Urteil, wie schon aus Verfassungsgründen zu wünschen, in Karlsruhe wieder kassiert, wäre das ein Sieg gesellschaftlicher Freiheit und politischer Vernunft – ein Sieg aller, nicht nur der Linken. Würde doch der politisch offene Meinungsstreit um ein kleines Stück wieder in seine Rechte eingesetzt werden, auf Kosten elender Bevormundung.

 

Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

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