© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Gegenwind für Zensürsüla
Niedersachsen: Mit ihrer Forderung nach „kultursensibler“ Sprache erntet Ministerin Aygül Özkan heftigen Widerspruch
Christian Vollradt

Nichts liege ihr ferner, „als die Unabhängigkeit der Medien in irgendeiner Form zu berühren“. Niedersachsens Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, Aygül Özkan (CDU), mußte die Notbremse ziehen, nachdem am Freitag vergangener Woche ihre geplante „Mediencharta Integration“ eine Protestwelle ausgelöst hatte.

Von einem „Maulkorb“ war die Rede, von unzulässigen Eingriffen in die Pressefreiheit sprachen Oppositionspolitiker, Zeitungsverleger und Journalisten. In Internetforen versah man die türkischstämmige Ministerin bereits mit dem Spottnamen „Zensürsüla“, in Anlehnung an die wegen ihrer Forderung nach Seitensperrungen im Internet geschmähte frühere Familienministerin Ursula von der Leyen („Zensursula“).

Grund für die Aufregung war ein Schreiben aus Özkans Ministerium an die Chefredakteure und Verlagsleiter niedersächsischer Medien, in dem für den 16. August zum „Round Table Integration“ in ein Hannoveraner Hotel eingeladen wurde. Neben einigen Reden und Schnittchenverzehr mit Ministerpräsident David McAllister (CDU) sollte besagte „Mediencharta“ (siehe rechts) unterzeichnet werden, mit der sich die Pressevertreter unter anderem zur Verwendung einer „kultursensiblen“ Sprache beim Thema Integration verpflichtet hätten. Die Unterzeichnung, so war der Plan, sollte „öffentlichkeitswirksam“ geschehen, hieß es in dem Einladungsschreiben.

Womit man im Hause Özkan wohl nicht gerechnet hatte, war die öffentlichkeitswirksame Verbreitung dieses Schreibens. Als erstes machte die in Oldenburg erscheinende Nordwest-Zeitung (NWZ) den Versuch einer solchen Einflußnahme auf die Art der Berichterstattung zum Thema. „Es dürfte in Deutschland bislang einzigartig sein, daß eine Landesregierung die Medien auf gemeinsame Inhalte verpflichten will und sogar die dabei zu wählende Sprache vorschreiben möchte“, resümierte die NWZ. Als die JUNGE FREIHEIT sich am Freitag beim Ministerium erkundigte, wußte man angeblich nichts von einer „Mediencharta“. Die Pressesprecherin sei zur Zeit nicht erreichbar, hieß es.

Özkan hatte zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits ihren Stab zusammengetrommelt, um eine „Exit-Strategie“ zu entwerfen. Mittlerweile hatte die Opposition das Thema aufgegriffen. Eine solche Mediencharta sei „ein Instrument der Zensur“, verkündete die SPD-Landtagsabgeordnete Daniela Behrens. Daß die Linkspartei der Ministerin konzedierte, sie strebe das richtige Ziel auf dem falschen Weg an, machte die Sache für die Landesregierung nicht gerade bequemer. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) nannte die Pläne „absolut überflüssig“ und verwies unter anderem auf die Richtlinie 12.1 des Pressekodex, an die sich die überwiegende Zahl der Redaktionen halte. Darin heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, daß die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Ministerpräsident David McAllister sei von der Debatte um das Medienverständnis der Landesregierung „alles andere als begeistert“ gewesen. Kenner der politischen Szene in Niedersachsen halten dies für eine „kultursensible“ Umschreibung; mit anderen Worten: Amtsneuling McAllister war stinksauer.

Am Freitag abend beeilte sich Aygül Özkan mit der Erklärung, die kritisierte Charta sei lediglich „als eine erste mögliche Diskussionsgrundlage gedacht“. Dies steht allerdings im Widerspruch zum Einladungsschreiben, denn darin hieß es: „Ab 9.30 Uhr Eintreffen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Unterzeichnung der Mediencharta, 10 bis 10.15 Uhr Begrüßung ...“ Von einer Diskussion war keine Rede.

Daß man im Sozialministerium auch am Wochenende noch immer von der „Mediencharta“ redete, hatte offenbar vor allem kosmetische Gründe: Die Ressortchefin sollte ihr Gesicht nicht verlieren. Özkan könne kein zweites Mal eine totale Kehrtwende machen, unkte man in Kreisen der Regierungsfraktionen unter Hinweis auf ihre „Kruzifix-Affäre“, die sie noch vor Amtsantritt in Bedrängnis gebracht hatte.

Am Dienstag war jedoch auch von dieser euphemistischen Frontbegradigung nichts mehr übrig. Angesichts der „entstandenen Irritationen“, so antwortete Özkans Ministerium der NWZ, „kann es nur unser Ziel sein, mit den Medien ins Gespräch zu kommen“. Daher stelle sich „die Frage nach der Unterzeichnung einer Charta zur Zeit nicht“. Die Sache mit dem „Round Table Integration“ verlief bisher also eher unrund.

 

Mediencharta

„Der demografische Wandel verändert auch Niedersachsen: Wir werden weniger, älter und vielfältiger. Dadurch ergeben sich neue, veränderte Zielgruppen für die Medien in unserem Land. Bereits 16 Prozent der niedersächsischen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Das wirkt sich auch auf die Medienlandschaft aus. Die Vertreter der niedersächsischen Medien betonen die Aufgabe, den Integrationsprozeß in Niedersachsen zu unterstützen. Sie übernehmen die damit verbundene Verantwortung und erklären:

In ihrer Berichterstattung über Sachverhalte und Herausforderungen der Integration zu berichten und zu informieren,

Eine kultursensible Sprache anzuwenden,

Die interkulturelle Öffnung zu fördern,

Die interkulturelle Kompetenz zu verstärken,

Projekte hierfür zu initiieren und zu begleiten.

Hannover, den 16. August 2010“

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