© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

„Ich habe noch immer Angst“
Kuba: Das Castro-Regime schiebt politische Gefangene nach Spanien ab / Unmenschliche Haftbedingungen / Dissidenten uneinig über Motive
Michael Ludwig

Der Tourismus ist der größte Devisenbringer Kubas. Etwa die Hälfte der Urlauber kommt aus Europa. Vor zwei Wochen konnten sie auf dem Flughafen von Havanna elf Dissidenten begegnen, die nichts anderes im Sinn hatten, als Kuba zu verlassen. Ihre Freilassung ist das Ergebnis zäher Verhandlungen zwischen dem kubanischen Staatschef Raúl Castro sowie dem kubanischen Kardinal Jaime Ortega Alamino und dem spanischen Außenminister Miguel Ángel Moratinos. Neben den elf, die nach Madrid flogen, sollen weitere Regimegegner ins Ausland abgeschoben werden.

Sie alle gehörten zu der Gruppe von Angeklagten, die im „schwarzen Frühling von 2003“ wegen geheimdienstlicher Tätigkeit gegen den kubanischen Staat und Verschwörung gegen das KP-Regime zu Gefängnisstrafen von bis zu 28 Jahren verurteilt worden waren. Um ihre Qualen in den kubanischen Gefängnissen wenigstens auf den ersten Blick zu vertuschen, kleidete man die elf vor der Ausreise neu ein. Außerdem ließ man die Klimaanlage laufen und servierte Hühnerfleisch als Abschiedsessen.

In einem der trostlosen Vororte Madrids, wo sich auch die Auffanglager der Immigranten befinden, gaben die Dissidenten ihre erste Pressekonferenz und schilderten dabei ihre Haftbedingungen. „Es sind unmenschliche Strukturen, und ich sage dir das als Journalist und nicht als Gefangener“, erklärte der 60jährige Ricardo González, der zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er für „Reporter ohne Grenzen“ tätig war. In seiner Einzelzelle brannte das Licht drei Monate rund um die Uhr – trotz der kubanischen Energieknappheit. Bei Lester González entschied sich die Gefängnisleitung für das Kontrastprogramm – in seiner Zelle herrschte nahezu immerwährende Dunkelheit. „Von Montag bis Freitag ließen sie mich für einige Augenblicke in den Gefängnishof, damit ich etwas Sonne abbekam“, sagte der 33jährige der Zeitung El País.

Pablo Pacheco berichtete über Selbstverstümmelungen, um dringend notwendige Arzneien zu erhalten oder den Prügeln zu entkommen. Eines Tages habe sich sogar jemand ins Auge gestochen in der Hoffnung, die Krankenschwester komme ihm zu Hilfe, erzählte der 40jährige. José Luis García Paneque, der früher als Chirurg auf dem Gebiet Hautverbrennungen gearbeitet hatte, leidet an einer Parasiteninfektion. Durch Unterernährung verlor er 40 Kilo. Besonders tückisch von der Gefängnisleitung ist, gewöhnliche Kriminelle und politische Gefangene zusammen einzusperren: „Manche von ihnen verhielten sich anständig, aber andere bereiteten uns die Hölle – und das im stillen Einverständnis mit den Wärtern“, sagte Lester González. „Ich habe noch immer Angst. Es gibt Momente, in denen ich glaube, daß das alles hier ein Traum ist und daß ich wieder zurück ins Gefängnis muß.“

Die Gefangenen müssen ihre Strafe zudem weitab von ihrer Heimat verbüßen. Eine Besuchserlaubnis gibt es theoretisch alle drei Monate. Doch ein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem existiert auf Kuba nicht. Privatautos sind rar, deshalb ist eine Fahrt über mehrere hundert Kilometer für viele schlicht unmöglich. Damit versuchen die Behörden, Ehen und Beziehungen zu zerstören, eine Rechnung, die jedoch nicht immer aufgeht. „Anstatt uns zu verlassen, haben sich unsere Frauen zur Organisation der ‘Weißen Damen’ zusammengeschlossen“, berichtete Ricardo González. Die Frauen machen durch Demonstrationen immer wieder auf das Schicksal ihrer Männer aufmerksam.

Die Dissidentenszene sowohl auf der Insel wie auch im Exil ist unschlüssig, wie die Freilassung der Gefangenen zu werten ist. Während die einen die USA und die EU dazu auffordern, Kuba entgegenzukommen, um es so zu weiteren Schritten in Richtung Liberalisierung zu ermutigen, bezeichnen andere die Haftentlassungen als „Deportationen“ und „Manöver“ der Castro-Regierung, um sich von ihrem schlechten Image reinzuwaschen und „Zeit zu kaufen“. Dem Regime geht es hingen wohl nur um bessere Wirtschaftsbeziehungen zur EU.

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