© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Nur manche mögen’s heiß
Lebensfeindlich: Extreme Temperaturen machen den meisten Organismen zu schaffen
Harald Harzheim

Wer an Sommertagen von „Hitze“ redet, meint zumeist das Wetter. Dabei geht der (metaphorische) Gebauch des Wortes weit über gefühlte Gradzahlen hinaus. Wie die Kälte, wie das Eis, steht die Hitze für das Extrem. Beider Gegenteil ist das Lauwarme, Mittelmäßige.

„Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt noch heiß bist. Ach, daß du kalt oder heiß wärst! So aber, weil du lau bist und weder kalt noch heiß, werde ich dich ausspeien aus meinem Mund“, erfährt man in der Offenbarung 3,14-22. Anderseits sind heiße und kalte Temperaturen gleichermaßen lebensfeindlich. Am Nordpol reduziert sich die Zahl der Lebewesen so radikal wie im Death Valley mit seinen mehr als 40 Grad im Sommer – ob Wüste oder Eiswüste, beides attackiert den Organismus.

 „Gewöhnliche“ Menschen bevorzugen die ausgeglichene Temperatur, während Heilige und Propheten von jeher die Hitze der Wüste suchten. Die alttestamentarischen Patriarchen, Jesus, Johannes der Täufer, Maria von Ägypten oder der Säulenheilige Simon – sie alle waren Kinder des „Feuerofens Gottes“, wie die Sandwüste im Film „The Ten Comandments“ (Die zehn Gebote, 1957) heißt. Die Wüste ist „rein“, ihre Hitze läutert. Keine feuchtkalte Fäulnis, kein Schlamm hat hier Platz. Ihre zähen Bewohner sind geschuppte, gepanzerte und lichtscheue Einzelgänger. Denen fühlt sich der Heilige verbunden. Teilhard de Chardin, Theologe und „Eisenfresser Gottes“ (QRT), erlebte seine tiefsten Eindrücke in der Wüste, sammelte und klassifizierte bevorzugt Skorpione und Giftschlangen – aggressive Tiere aus einer Landschaft, die alles aufs Konzentrat reduziert. Im schweißverklebten, ausgemergelten Körper des berufenen Einsiedlers brechen sie dann hervor: Visionen, die die Welt erschüttern. Während die Schwächeren einer Fata Morgana folgen, auf die Luftspiegelung praller Oase oder geschäftiger Städte zulaufen, bis sie merken: Ihr Hoffnungsbild war nichts als „heiße Luft“.

Auch jenseits theologischer und metaphysischer Erfahrung gilt heiß (und kalt) als Qualitätsmerkmal: In der Populärkultur ist eine Sache entweder „hot“ oder „cool“. Für alles, was dazwischen- liegt, gibt es kein Wort; es ist nicht der Erwähnung wert.

Heiß ist, was die Vitalität, die Erregung steigert und das Blut in Wallung bringt: Ein Mensch kann hitzig sein, manches Thema ist ein „heißes Eisen“, Erotikfilme zeigen „heiße“ Aktionen und Terroristen drohen mit einem „heißen Herbst“. Ironischerweise kann der Mensch aber innerlich nur glühen, wenn die Außentemperaturen maßhalten. So lassen sich in sengender Hitze kaum „heiße Sachen“ machen; der Organismus ist zu sehr ermattet.

Nur eine Emotion wird durch ständige Hitzeeinwirkung provoziert: Wut – der Affekt gegen alles Unerträgliche. T. E. Lawrence (Lawrence von Arabien) berichtet, wie die brennende Wüstensonne „unser Blut in Gärung“ brachte. Vor allem ein Film hat die brutale Wut der Wüste eingefangen: Erich von Stroheims „Greed“ (Gier, 1924). Im Siedepunkt des Death Valley stehen sich zwei Todfeinde gegenüber: McTeague und Marcus Shouler. Beider Pferde sind verendet, die Wasserflaschen haben sie längst geleert. Sie wissen: Ihr Tod ist nur noch eine Frage von Stunden. Das Haar ist zersaust und verdreckt, aus jeder Pore schwitzt der Körper letzte Flüssigkeit. Aber die geschwollenen Augen, vom grellen Sonnenlicht verkrustet, sie leuchten vor Haß. Ein letzter Kampf entbrennt um einen Sack voll Gold, um dessentwillen sie sich in diese Hölle verliefen. Die entkräfteten Körper geben ihr Letztes. Schließlich ist der Rivale Shouler tot und McTeague schaut auf sein Gold, das unbeschadet in tödlicher Sonne blinkt. Regisseur Erich von Stroheim drehte diese Szene am Originalschauplatz, im Death Valley – tagelang. Die Authentizität sieht man den geschundenen Schauspielern an. Seelische und physische Hitze schaukeln sich hoch bis zur (Selbst-)Vernichtung.

Eine gänzlich andere Erfahrung von Hitze bieten moderne Städte. Hier kämpft man nicht – wie in der Wüste – auf Leben und Tod. Aber das Drängeln durch überfüllte Passagen, das Im-Stau-Stehen im aufgeheizten Auto – da kann einem schnell „zu heiß“ werden. Man erinnere die Szene aus dem Film „Falling Down“ (1993), wo Michael Douglas im Stau steht, schwitzt und schwitzt und schwitzt und dann urplötzlich durchdreht. Dann ist Amok angesagt. Oder man richtet die „heiße Wut“ gegen sich selbst, liefert sich masochistisch dem Aggressor aus und läßt sich verbissen beim Sonnenbad toasten. Darüber hinaus bestimmt bleierne Schwermut den sommerlichen Metropolenalltag. Die Arbeitsprozesse verlangsamen, die Bewohner ziehen sich in schattige Winkel zurück und verhalten sich ruhig.

Man denke an das Los Angeles der 1940er Jahre, wo Privatdetektiv Philip Marlowe in seinem stickigen Büro abhängt. Darin kämpft der Ventilator um Kühlung und ein Hochprozentiger löscht den brennenden Durst. Schließlich klingelt das Telefon. Marlowe bekommt einen neuen Auftrag. Ihm bleibt keine Wahl: Er muß raus! Raus auf die Straßen, wo die Hitze den Autolack springen läßt. Raus in die engen Straßen, wo die Luft zu stehen scheint, wo der Gestank überfüllter Mülleimer sich mit dem Verwesungshauch gesuchter Leichen mischt.

In „The Big Sleep“ (1939) sucht Detektiv Marlowe sogar einen Greis im tropischen Gewächshaus auf, dessen Hitze „uns wie ein Leichentuch umgab“. In dieser Welt noch aufzustehen, sich auf die Suche zu machen, ist wahrhaft heroisch. Nicht nur der Zynismus seiner Charaktere, auch die Hitze der Schauplätze machte Raymond Chandlers Romane zum perfekten Ausdruck des neuzeitlichen Nihilismus.

Solchen Nihilismus birgt auch der kommende Hitzetod unserer Erde. Womit weniger der Klimawandel gemeint ist als die restlose Pasteurisierung des Planeten durch die Sonne. Astronomen wie Jeffrey Kargel glauben, daß die Erde in 7,5 Milliarden Jahren in der Sonne verglüht. Schon vorher steigt die Temperatur des blauen Planeten auf 1.000 Grad. Was zu dem Zeitpunkt noch existieren mag, muß nun endgültig abtreten. Das wird zwar kein Zeitgenosse mehr erleben, dennoch läßt das Wissen um die Allvergänglichkeit nicht kalt.

Zumal ähnliches in 153 Lichtjahren Entfernung bereits geschieht: Das Weltraumteleskop Hubble empfing unlängst Informationen über einen feurigen Stern, der den ihn umkreisenden Planeten HD 209458b (alias Osiris, im Sternbild Pegasus) derart grillt, daß die magischen 1.000 Grad bereits erreicht sind. Computersimulierte Darstellungen von HD 209458b wirken wie Fotos aus der Zukunft unseres Planeten. (Ähnliches erlebt auch schon, wer in diesen Tagen ICE fährt.) Aber auch die hiesige Sonne erlischt in etwa acht Milliarden Jahren. Danach folgt, wie nach einem heißen Wüstentag, eisige Nacht.

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