© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Annäherungen an die Kultur der Güter
Eine Untersuchung der Adelssitze zwischen Oder und Memel erschließt das umfangreiche Archivmaterial leider nur unvollständig
Wulf Wagner

Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin befindet sich das 1945 zu weiten Teilen gerettete Königsberger Staatsarchiv. Es bildet eine unerschöpfliche Quelle für jeden, der sich mit der Kulturgeschichte Ostpreußens befaßt. Wenn daher die Herausgeber des zu besprechenden Bandes, Isabella Woldt und Tadeusz J. Żuchowski, in ihrer Einführung behaupten, daß sie das „relevante Archivmaterial“ ausgewertet haben, so kann dies nicht stimmen. Keiner der 23 Kunsthistoriker hat sich der Mühe unterzogen, die Bestände der Ostpreußischen Folianten, des Etatsministeriums oder der Adelsarchive einzusehen.

Ebenfalls glauben sie, sich von dem Erforscher der ostpreußischen Gutshäuser distanzieren zu müssen, indem sie Carl von Lorcks (1892–1975) grundlegende Arbeiten als „methodisch rückständig und inhaltlich unzureichend“ bezeichnen. Daß sich dann nicht nur die Bearbeiter der Häuser Groß Steinort, Schlodien und Finckenstein ganz wesentlich auf ihn beziehen, sondern auch in anderen Kapiteln immer wieder Lorcks Hinweisen nachgegangen wird, verdeutlicht die bleibende Bedeutung dieses geistreichen Kunsthistorikers.

Aber bei Lorck fehlt der Blick auf den Zusammenhang zwischen der Architekturentwicklung der Adelssitze Ostpreußens und Polens. Das deutsch-polnische Projekt ist daher dieser Frage für die Zeit vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Auflösung Kongreß-Polens 1830 nachgegangen – ein wichtiges Unternehmen fürwahr. Leider wird das Buch kaum seinem Anspruch gerecht. Zunächst kann von einer Erforschung der Adelssitze nicht die Rede sein, lediglich elf Häuser werden mit eigenen Kapiteln vorgestellt.

Diesen Kapiteln stehen Aufsätze der Herausgeber voran. Tadeusz Żuchowski befaßt sich mit dem Schloßbau in Polen im 16. und 17. Jahrhundert, weist auf Zusammenhänge zur italienischen Architektur und polnische Eigenarten hin und stellt einige herausragende Häuser vor, wie das Bischofspalais zu Kielce; daß im Kapitel zu Dowspuda die Grundrißähnlichkeit zu Kielce nicht thematisiert wird, ist nur ein Beispiel dafür, daß die Texte kaum aufeinander abgestimmt sind.

Isabella Woldt widmet sich Adelssitzen um 1700 in Polen, wobei sie vor allem auf das Werk des in Warschau tätigen Niederländers Tilman van Gameren und des Berliners Christian Eltester eingeht. Ihr Aufsatz ist der einzig konkrete Beleg für die Beeinflussung eines brandenburg-preußischen Architekten durch einen Warschauer Baumeister.

Ansonsten werden die Beziehungen zwischen der polnischen Architektur und Ostpreußen mehr konstruiert als bewiesen. Dies fällt etwa bei Eichmedien auf. Dieses Herrenhaus eines an der Seite des brandenburgischen Kurfürsten stehenden Bauherrn zeigt eindeutig architektonische Bezüge zur niederländischen Baukunst des kurfürstlichen Hofes. Für eine Neudatierung um 1704 sind die Belege zu dünn. Vielmehr müßte das Haus mit anderen Adelssitzen aus dem Umkreis des Kurfürsten verglichen werden (beispielsweise Fuchshöfen), die im gewissen Sinne Herrschaftszeichen gegen den teils widerspenstigen Landadel waren. Überhaupt werden kaum familiengeschichtliche Verbindungen zwischen verschiedenen ostpreußischen Häusern hergestellt, und der Bezug nach Königsberg, wo nahezu jede der großen Adelsfamilien ihr Palais besaß, fehlt ganz. Wenn dann eine Zwischenüberschrift bei Isabella Woldt lautet „Der ‘polnische’ Adelssitz in Holzbauweise für Preußen“, ohne ein Beispiel in Preußen zu nennen, wird die Arbeit „inhaltlich unzureichend“. Statt der oft weit hergeholten Vergleiche – etwa zu Palladio – und der bekannten Schlösser hätte man sich anhand des unerschöpflichen Materials im Berliner Geheimen Staatsarchiv mit Gütern des polnischen Adels in Masuren und dann mit seinen Verbindungen zur polnischen Gutshausarchitektur befassen müssen. Das wäre eine grundlegende Arbeit geworden.

Einzelkapitel befassen sich mit Groß Steinort, Eichmedien, Schlodien, Dönhoffstädt, Finckenstein und Schlobitten. Wer die Arbeiten von Carl von Lorck, von Carl Grommelt/Christine von Mertens zu Schlobitten, von Kilian Heck/Christian Thielemann zu Friedrichstein oder von Hans-Joachim Kuke zum Baumeister Jean de Bodt besitzt, der findet in diesen Kapiteln kaum etwas Neues. Dagegen heben sich die Aufsätze zu Groß Bellschwitz, Goßlershausen – ein Haus Friedrich August Stülers – und Ostrometzko positiv ab. Spannend sind die neugotischen Häuser Dowspuda – einem bereits nach 1850 verfallenen Schloß des Geschlechts Pac – und Opinogóra mit dem Turm des Dichters Zygmunt Graf Krasiński. Bei allen Kapiteln fragt man sich, inwieweit sich die deutschen Mitbearbeiter bei der Textgestaltung eingebracht haben, denn neben manch eigenartiger Wortwahl und holpriger Sprache sowie Unsicherheiten in der Landesgeschichte hätte das Lektorat die unzähligen Wiederholungen herausstreichen müssen.

Bedauerlich ist, daß die Bildqualität trotz des hohen Buchpreises oft schlechter als im Original ist. Allenfalls, wer die ältere Literatur zur ostpreußischen Gutshausgeschichte nicht besitzt oder weitere Häuser kennenlernen möchte, kann aus dem Werk etwas Nektar saugen.

Isabella Woldt, Tadeusz J. Zuchowski, Hrsg.: Im Schatten von Berlin und Warschau. Adelssitze im Herzogtum Preußen und Nordpolen 1650–1850. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2010, gebunden, 394 Seiten, Karten und über 323 Abbildungen, 69 Euro

 

Dr. Wulf D. Wagner ist Architekturhistoriker mit mehreren Buchveröffentlichungen zur ostpreußischen Gütergeschichte und zum Königsberger Schloß (JF 27/08)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen