© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

„Der Rechtsstaat darf sich nicht lächerlich machen“
Kriminalität: Die Sicherungsverwahrung für gefährliche Schwerverbrecher entwickelt sich zum neuen Dauerbrenner der schwarz-gelben Koalition
Tobias Westphal

Die seit Monaten schwelende Diskussion um die Sicherungsverwahrung hat mit dem Streit um eine mögliche Veröffentlichung der Namen von entlassenen Sexualstraftätern einen neuen bemerkenswerten Höhepunkt erreicht (siehe auch Seite 2). Doch noch immer bleibt die eigentliche Frage unbeantwortet: Was macht man zukünftig mit Gewaltverbrechern, die als nicht therapierbar gelten?

Hintergrund der Diskussion ist die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EMGR) vom Dezember 2009, nach der die deutschen Regelungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung rechtswidrig sind

(JF 5/10). Als rechtlich unproblematisch gilt die Sicherungsverwahrung, die schon im Strafurteil angeordnet oder wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil vorbehalten wurde. Streit gibt es jedoch wegen der nachträglichen Maßregel der Besserung und Sicherung. Wie kann man die Allgemeinheit vor einem Straftäter schützen, bei dem sich erst während der Haft herausstellt, daß er weitere schwere Straftaten begehen könnte und eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt?

Die Bundesregierung hatte sich zwar auf eine Reform geeinigt, doch damit begann der Streit erst. Die von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorgelegten Eckpunkte werden vor allem von der CSU heftig kritisiert. Laut dem vorgelegten Gesetz soll die Sicherungsverwahrung auf schwere Sexual- und Gewaltstraftaten beschränkt sein. Eine nachträgliche Verwahrung, die erst während oder am Ende der Haft angeordnet wird, soll es dagegen nicht mehr geben. Das umstrittene Instrument der nachträglichen Sicherungsverwahrung soll „überflüssig“ werden. Es würden „notorisch gefährliche Schwerverbrecher schon bei der Verurteilung als solche erkannt“, sagte die Justizministerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Im Gegensatz zur FDP möchte die CSU aber die nachträgliche Sicherungsverwahrung beibehalten. Die bayerische Justizministerin Beate Merk fordert hierfür die Schaffung einer neuen Sicherheitsunterbringung mit einem wissenschaftlich fundierten Therapieangebot. Diese soll etwas anderes sein als die bisherige Sicherungsverwahrung, und für sie soll das Rückwirkungsverbot nicht gelten. Zudem benötige man eigene Verfahrensregeln und eigene Spruchkörper für die Anordnung der Sicherungsverwahrung, um den Unterschied zu einer Strafe deutlich zu machen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) möchte geklärt wissen, „ob nicht während eines Strafvollzuges aufgrund besonderer Erkenntnisse noch nachträglich eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen werden darf“.

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Günter Krings und der Innenexperte Wolfgang Bosbach (beide CDU) fordern eine nachträgliche Sicherungsverwahrung. Und der Innenpolitische Sprecher Hans-Peter Uhl (CSU) warnte Leutheusser-Schnarrenberger sogar vor der Vorlage dieses Gesetzentwurfs: „Ich nehme lieber eine Rüge des Europäischen Gerichtshofes in Kauf als das Risiko neuer Straftaten“. Dementsprechend fällt die Antwort der Justizministerin aus: „Ich hoffe, daß dieses sensible Thema mit der notwendigen Sachlichkeit diskutiert werden kann“ – aber nur auf der Grundlage ihres Entwurfs.

Die Grünen stimmen den Vorschlägen der FDP soweit zu, daß die Sicherungsverwahrung auf Fälle schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten beschränkt wird. Zudem wird auch von den Grünen die nachträgliche Verhängung einer Sicherungsunterbringung abgelehnt. Ablehnend stehen die Grünen auch der „Verschärfungsorgie der Union“ gegenüber, wonach die Sicherungsverwahrung auch gegenüber Heranwachsenden angewandt werden können müsse, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden.

Ein weiterer Eckpunkt des Gesetzesentwurfs ist die Einführung einer elektronischen Fußfessel für entlassene Straftäter, die weiter als gefährlich gelten. Diese könnten somit überwacht werden; jedoch sei man im Justizministerium aber grundsätzlich „technikoffen“ für andere Vorschläge. Diese Idee wird sowohl von den Grünen als auch von der Union abgelehnt. Denn Straftaten könnten dadurch nicht verhindert werden, vielmehr sei es „lediglich ein digitaler Klotz am Bein der Ex-Häftlinge“.

Der Generalsekretär der CSU wird deutlich: Die in der Regierung diskutierte „elektronische Fußfessel“ bezeichnete Alexander Dobrindt als „Witz“, weil sie niemanden an der Begehung eines Verbrechens hindere. „Der Rechtsstaat darf sich nicht lächerlich machen“, sagte Dobrindt. Man benötige einen intelligenten Mix aus Überwachung und sozialen Angeboten.

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