© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wissen für alle
Karl Heinzen

Wie war es möglich, daß das rückständige Deutschland im 19. Jahrhundert einen so rasanten wissenschaftlichen und industriellen Aufstieg erlebte? Der Wirtschaftshistoriker Eckhard Höffner bietet dafür eine simple Erklärung: Dank der Vielstaaterei konnte über lange Jahrzehnte kein Urheberrecht durchgesetzt werden. Sofern man überhaupt irgendwo einen Ansatz unternahm, ein solches zu etablieren, wurden die Bemühungen bereits jenseits der häufig gar nicht so fernen Landesgrenze wieder umgangen. Die Folge war eine Flut von Titeln, die in hoher Auflage Verbreitung fanden. Während in England das Buch ein Luxusgut blieb, das wohlhabende Schichten als Mittel zur Unterhaltung nutzten, wurde es in Deutschland früh für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich. Die Bedürfnisse der Massen wiederum richteten sich nicht allein auf Erbauung und Zerstreuung, sondern auch und gerade auf eine praktische Hilfestellung im Beruf mit seinen naturwissenschaftlichen und technischen Herausforderungen.

Diese historischen Erfahrungen muß berücksichtigen, wer eine Wissensgesellschaft als Grundlage für zukünftige Prosperität erstrebt. Sie lassen jedoch darauf schließen, daß ein unbedingtes Recht am geistigen Eigentum ein Hemmnis für Innovation und Wachstum darstellt. Mehr denn je bauen heute die Fortschritte in Forschung und Technologie aufeinander auf. Der einsame Erfinder, der voraussetzungslos auf irgendeinem Gebiet einen Durchbruch erzielt, gehört einer fernen Vergangenheit an. Wer aber sein Wissen für sich behält oder es nur jenen weitergibt, die ihm einen Preis dafür entrichten, verhindert, daß andere zügig dort anknüpfen, wo er nicht weiterweiß.

Zudem sind jene, die in ihrer Forschung zu Ergebnissen gelangen, üblicherweise außerstande, diese am Markt zu plazieren. Dazu bedarf es unternehmerischen Gespürs, und über ein solches verfügen Wissenschaftler in der Regel nicht. Pochen sie dennoch auf ihr geistiges Eigentum, verlangsamen oder verhindern sie gar die Nutzbarmachung ihrer Erkenntnisse für die Mitmenschen.

Aber auch Unternehmen können in ihren Bemühungen scheitern, exklusives Wissen, über das sie verfügen, bestmöglich zu vermarkten. Konkurrenten, die hier erfolgreicher agieren könnten, darf diese Chance durch eine juristische Absicherung betrieblicher Geheimniskrämerei nicht genommen werden. Fiele das Recht am geistigen Eigentum, wäre zudem auch der Industriespionage der Boden entzogen. Die auf diesem Gebiet vergeudeten Ressourcen könnten sinnvolleren Zwecken zugeführt werden.

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