© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Kolumne
Positives aus der Hauptstadt
Herbert Ammon

Für Besucher und Bewohner Berlins bietet die Hauptstadt, von der Politik ganz abgesehen, eine Fülle von zu pessimistischer Weltwahrnehmung verleitenden Impressionen. Selbst wer der drogenhaltigen Exotik am Kottbusser Tor sowie der satellitengestützten Migrantenkultur in den „Problembezirken“ soziokulturell entrückt ist, wird von der Ästhetik des Niedergangs affiziert: Müll an Bushaltestellen, in Grünanlagen, die ewigen Schmierereien in den U-Bahnhöfen, an kunstfertig verklinkerten S-Bahn-Bögen sowie an Friedhofsmauern.

Doch kein Klagelied soll hier angestimmt werden, es gibt Gutes zu berichten: von der wundersamen Wiedergeburt des Breitenbachplatzes im Südwesten der Metropole. Das um 1910 zwischen Wilmersdorf und Dahlem angelegte Schaustück bürgerlicher Stadtplanung war Anfang der 1980er Jahre von einer Autobahnabfahrt aus Beton durchschnitten worden. Danach ging es bergab. Der nach Südwesten weisende Teil des Platzes war, eingerahmt von  Sozialgestrüpp, als Park nicht mehr zu erkennen. Vor dem mittleren U-Bahn-Eingang entfaltete eine sozial integrative Imbißbude den Geruch und Charme von Currywurst und Bier.

Irgendwann erwies sich die U-Bahnstrecke zwischen Heidelberger Platz und Breitenbachplatz als sanierungsbedürftig. Es tropfte durch die 100 Jahre alte Betondecke. Wie bei derlei Bauprojekten üblich, zogen sich die Renovierungsarbeiten ewig hin. Der U-Bahn-Eingang verschwand hinter einem Bauzaun. Doch im Frühsommer nahm, wie auf einem Bauplan angekündigt, das Areal neue Gestalt an. Wo es ehedem wild wucherte, stehen jetzt Fliederbäumchen, in der Mitte des Ovals breiten sich von Hortensien gezierte Rasenflächen. Die Wege zwischen den von Laubkrankheit noch verschonten Kastanien laden zum Promenieren ein, Bänke zum Ausruhen. Im U-Bahn-Eingang wurde ein Aufzug installiert. Zur Rechten entsteht ein Spielplatz.  Gegenüber, neben Fahrradständern aus Edelstahl, steht bereits eine Tischtennisplatte.

Wenn der Eindruck nicht täuscht, hat der  Platz trotz der irreversiblen Autobahnüberführung seine städtebauliche, ästhetische und soziale Funktion wiedergewonnen. Die ersten Zeitungsleser sowie ein mit Plastiktüten ausgerüsteter sozialer Randsiedler wissen den Charme des erneuerten Ovals  bereits zu schätzen. Die unbeseitigten Schmierereien auf der Rückseite des U-Bahn-Eingangs sollen die Freude über eine gelungene Stadterneuerung nicht verderben.

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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