© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Statistiker rüsten zur Volkszählung
Demographie: Erstmals seit der Wiedervereinigung werden in Deutschland fl ächendeckend die Daten der Bevölkerung erfaßt
Hans Christians

Vor 23 Jahren war die Volkszählung noch ein echter Aufreger. In diesen Tagen kommt die Diskussion über den „Zensus 2011“ nur schleppend in Gang. Dabei haben die Vorbereitungen zur größten statistischen Erhebung der vergangenen Jahre längst begonnen. Und sie könnte durchaus interessante Ergebnisse an den Tag bringen.  

Der „Zensus 2011“ ist nach Aussage von Sabine Bechtold, Abteilungsleiterin des Statistischen Bundesamts,  aber keine traditionelle Volkszählung. Dabei würden alle Menschen, Wohnungen und Gebäude ermittelt sowie Haushaltsbefragungen bei allen Einwohnern stattfinden.  Bei der nun beginnenden Befragung würden zwar deutschlandweit alle Daten von Registern ausgewertet, aber nur zehn Prozent der Haushalte befragt. Diese sollen über ein Stichprobenmodell ermittelt werden. Als Grund für die detaillierte Erhebung nannte Bechtold eine EU-Verordnung, die von den Mitgliedsstaaten regelmäßige Volkszählungen verlange.

Bei der Volkszählung im Jahr 1987 gingen Hunderttausende auf die Straße. Bisher laufen die Proteste eher verhalten. Immerhin: Rund 13.000 Menschen unterstützen bislang eine Verfassungsbeschwerde, die die aufwendige Datenerhebung mittels Richterspruch stoppen will. Die Gegner haben sich im „Arbeitskreis Sensus“ zusammengefunden, dessen Sprecher der selbständige Datenschutzberater Werner Hülsmann ist. Hauptkritikpunkt der Zensus-Gegner ist die Vergabe einer sogenannten Ordnungskennziffer, die nach Ansicht des Arbeitskreises Rückschlüsse auf die Befragten zuläßt. „Bis zu vier Jahre nach der Volkszählung können diese gespeichert  werden. Somit gibt es keine Anonymität, Rückschlüsse auf einzelne sind möglich“, sagt Hülsmann, der einen weiteren Kritikpunkt nennt: „Sensible Daten werden aus unterschiedlichen Quellen wie Meldeämtern und der Bundesagentur für Arbeit ohne Einwilligung der Betroffenen zusammengefügt.“ An den vom Statistischen Bundesamt zugesicherten Datenschutz mögen die Kritiker nicht so recht glauben. „Ist eine solche Datenbank erst einmal vorhanden, wird sie Begehrlichkeiten in der Politik und der Wirtschaft wecken.“

Das linke Lager mobilisiert die Gegner

Traditionell rekrutieren sich die Unterstützer der Gegenkampagne aus dem linken politischen Lager. Dort stößt man sich auch daran, daß bei der Erhebung auch nach Religionszugehörigkeiten gefragt werden soll. „Die Frage nach dem Bekenntnis verstößt gegen das Recht auf Religionsfreiheit. Zum Beispiel wertet der Verfassungsschutz die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Richtung des Islam bereits als Indiz, daß jemand gewaltbereit oder verfassungsfeindlich sein könnte“, vermutet Hülsmann, verschweigt aber, daß die Beantwortung der Religions-Frage freiwillig ist. Die Befürworter verweisen dagegen auf die Tatsache, daß der „Zensus 2011“ von der EU quasi vorgeschrieben ist.

Neben der reinen Einwohnerzahl gehört der demographische Aufbau der Bevölkerung, also die Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht, aber auch nach Nationalität und Erwerbstätigkeit zum Umfang der Volkszählung. Der Zensus soll etwa zeigen, wie viele Menschen arbeitslos, angestellt und selbständig sind. Wie viele Single-Haushalte gibt es und wie viele Familien mit Kind? Zudem sollen alle Gebäude mit Wohnräumen erfaßt werden. Im Gegensatz zu früheren Volkszählungen besuchen Interviewer nur 2,5 bis 3,5 Millionen Bürger. Das sind sieben bis neun Prozent der Bevölkerung. Die Ergebnisse werden später hochgerechnet. Wer ausgewählt ist, muß Auskunft erteilen – in einem kurzen Gespräch mit einem der bundesweit 80.000 Interviewer oder schriftlich.

Wer sich weigert, Auskunft zu erteilen, muß mit einem Bußgeld rechnen. Interessant ist die Volkszählung auch deshalb, weil sie Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich haben dürfte, wo jeder Einwohner mit etwa 2.000 Euro ins Gewicht fällt. Die Statistikämter vermuten, daß die angenommene Bevölkerungszahl  in der Bundesrepublik von derzeit knapp 82 Millionen Menschen deutlich zu hoch gegriffen ist. Schätzungsweise leben 1,3 Millionen Menschen weniger in Deutschland. „Ich gehe davon aus, daß die ostdeutschen Länder stärker vom Bevölkerungsschwund betroffen sind als die westdeutschen. Daher werden sie mehr Geld fordern“, glaubt der Finanzwissenschaftler und frühere Wirtschaftsweise Rolf Peffekoven.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen