© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Die Kritik kommt noch früh genug
Literaturbetrieb: Der Verlag von Michel Houellebcq will keine Vorausexemplare von dessen neuem Buch herausrücken
Andreas Wild

Was verschafft heutzutage mehr öffentliche Aufmerksamkeit: donnernde Reklame oder donnernde Nichtreklame? Das fragen sich in Paris zur Zeit viele Liebhaber der Literatur, nachdem der Verlag Flammarion, der die Bücher des berühmten Skandalautors Michel Houellebecq verlegt, angekündigt hat, daß er dessen neuestes Werk, „La Carte et le Territoire“, nicht bewerben wird, jedenfalls nicht vorab.

„La Carte et le Territoire“ soll der Knüller des bevorstehenden Bücherherbstes werden, doch Flammarion hat sich ausdrücklich geweigert, den Kritikern der großen Zeitungen und TV-Sender sogenannte Vorausexemplare zuzustellen, damit diese – wie allgemein üblich – schon vor Erscheinen des Buches ihre Meinung darüber ablassen können. Das Werk selbst soll erst am 8. September in den Handel kommen.

An sich klingt das nicht unsympathisch. Der Zorn bei den Lesefreunden über die Privilegierung der sogenannten „Starkritiker“ wabert schon lange. Man ärgert sich darüber, daß man da Urteile und Lobeshymnen beziehungsweise Häme über Texte serviert bekommt, die man selbst noch gar nicht kennen kann. Man fühlt sich gegängelt.

Manche Normalverbraucher hingegen fühlen sich durch die herrschende Praxis bestens bedient und kaufen sich das neue Buch später gar nicht erst, denn sie „wissen ja schon bescheid“. Wahrscheinlich ist es dies, was Flammarion zu seiner Verweigerungsstrategie getrieben hat. Man will den Absatz nicht gefährden, und das geht ja auch vollkommen in Ordnung. Michel Houellebecq ist, wie man hört, völlig damit einverstanden.

Freilich, er ist ein berühmter Autor, der die Leserschaft polarisiert. Er kann es sich gewissermaßen leisten, auf Vorauskritiken zu verzichten, weil er weiß, daß seine Werke ohnehin von einer großen Menge Neugieriger gekauft werden, egal was dieser oder jener Kritiker darüber verlaubart.

Für literarische Debütanten oder gediegene Langweiler sieht die Sache wohl anders aus. Die brauchen den Vorauslärm, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Für sie ist Kritikerlärm reinste Himmelsmusik, wie laut und mißtönend er immer sein mag.

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