© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Land der Ja-Sager
Politische Zeichenlehre CV: Okzitanisches Kreuz
Karlheinz Weissmann

Die Farben des französischen Südens sind Gelb und Rot, wie die Spaniens: vier waagerechte rote Streifen auf Gelb in der Fahne Kataloniens, vier senkrechte rote Streifen auf gelbem Grund in der Fahne der Provence, ein gelbes – „okzitanisches“ – Kreuz auf rotem Feld in der Fahne des Languedoc. Katalonien reicht sprachlich gesehen deutlich über die Pyrenäengrenze hinaus und findet sich als Idiom auch heute im Roussillon verbreitet, ihm verwandt ist das Okzitanische, das sich an der Mittelmeerküste entlang bis in Teile Norditaliens hinein erhalten hat und nach Norden bis in die Gascogne, das Limousin und die Auvergne verstanden wurde. Zusammen bilden diese Gebiete die terre d’oc, also das „Gebiet des oc“, in dem für „ja“ statt des nordfranzösischen „oui“ (ursprünglich „oil“) „oc“ verwendet wird, oder Occitania (Okzitanien).

Die langue d’oc ist eine eigenständige romanische Sprache, die während des Hochmittelalters ihre Blütezeit erlebte und die Grundlage für eine glanzvolle höfische Kultur – manche sprechen von einer „ersten Renaissance“ – bildete, die Einfluß auf ganz Europa hatte, deren weitere Entfaltung aber durch eine Reihe von historischen Ereignissen verhindert wurde. Ausschlaggebend war ohne Zweifel der Sieg des Königs von Frankreich in den Albigenserkreuzzügen des 13. Jahrhunderts. Es handelte sich dabei um eine von der Kirche unterstützte militärische Aktion, mit der die ketzerische Bewegung der Albigenser (nach der südfranzösischen Stadt Albi) oder Katharer niedergeworfen und damit auch die Unabhängigkeit des Südens beseitigt wurde.

Die Katharer, die einer gnostischen Sonderlehre anhingen, sich aber als Christen betrachteten, hatten ursprünglich das Wohlwollen des okzitanischen Adels genossen, der in ihnen und ihrer Organisation auch einen Schutz gegenüber den Machtansprüchen des Nordens sah. Der mächtigste dieser Herren war der Graf von Toulouse, der große Teile Okzitaniens kontrollierte. Unter französischem Druck wandten sich die Grafen von Toulouse aber rasch von der katharischen Sache ab, um wenigstens einen Rest ihres Einflusses zu behalten, und gelobten dem König Treue. Trotzdem wurde ihr Wappenbild zum Symbol Okzitaniens und der okzitanischen Sache.

Es zeigte das erwähnte „Okzitanische Kreuz“, ein griechisches Kreuz, dessen Enden auseinandertreten und dann in einer Spitze zusammenlaufen; die äußeren Punkte sind mit kleinen Kugeln verziert. Das Kreuz wird für gewöhnlich in gelber Linienführung auf rotem Grund gezeigt. Nach einer neuen Untersuchung von Raymond Ginouillac (La croix occitane, Institut d’Etudes Occitanes du Tarn, 2. erweiterte Auflage, Realmont 2006) geht es auf ein Siegel- beziehungsweise Münzbild zurück, das zuerst von den Grafen von Provence verwendet wurde und dann zu Beginn des 12. Jahrhunderts an die Grafen von Toulouse überging. Nach deren Aussterben blieb es erhalten im Wappen der Stände des Languedoc, die bis zur Revolution die Sonderrechte der Provinz wahrten.

Seit dem 19. Jahrhundert bedienten sich seiner die verschiedenen regionalistischen Bewegungen, denen es vor allem um kulturelle Selbstbestimmung, manchmal aber auch um Unabhängigkeit der nacion occitan ging. Wie in vergleichbaren Fällen handelte es sich zuerst um eine Angelegenheit von Intellektuellen und Geistlichen, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs um eine Sache der regionalistischen Linken, die sehr wirkungsvoll ökonomische Fragen mit der Forderung nach Selbstbestimmung und Erhaltung von Sprache und Kultur verband.

Das Okzitanische Kreuz ist heute im Languedoc allgegenwärtig und wird mit einer Selbstverständlichkeit verwendet, die auch erklärt, warum man sich selten um eine genaue Herleitung kümmert und phantasievolle Interpretationen als heidnisches Sonnenzeichen oder „Katharerkreuz“ umlaufen. Zu tun hat das damit, daß der okzitanische unter allen Regionalismen Frankreichs der vitalste ist – wenngleich sich auch hier der Erfolg negativ bemerkbar macht und die von oben betriebene Dezentralisierung viel von dem Widerstandsgeist neutralisiert hat, der bis in die siebziger und achtziger Jahre das Bild bestimmte. Immerhin demonstrierten vor drei Jahren, im März 2007, mehrere zehntausend Menschen für den Erhalt der okzitanischen Sprache, die von etwa einer Million Menschen im Süden Frankreichs heute noch oder wieder verwendet wird.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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