© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

„Ein elendes Leben als Steineklopfer“
Vom Rechts- zum Maßnahmenstaat: Wieviel Repression ist möglich, bevor die Deutschen revoltieren?
Thorsten Hinz

Die Leiterin der Kindertagesstätte Lüneburg, in der Birkhild T. bis vor kurzem gearbeitet hat, sei „hörbar bewegt“ gewesen, als die taz ihr am Telefon mitteilte, daß Frau T. sich im NPD-Umfeld bewegt. Die Zuträger vermeldeten es stolz. Was mag der Grund für ihre Bewegung gewesen sein? Zuerst natürlich die Angst um sich selbst. Denn den Systemfeind im Nachbarn nicht selber identifiziert zu haben, das hatte schon unter Stalin böse Folgen.

Zugleich wird die Frau ein schlechtes Gewissen verspürt haben. Eine kompetente, jedenfalls „liebevolle“ und am Arbeitsplatz völlig unpolitische Erzieherin zu entlassen, weil sie die falsche Gesinnung hat, widerspricht einem elementaren Gerechtigkeitsempfinden. Praktisch aber hatten die Vorgesetzten von Birkhild T. keine Alternative. Andernfalls wären sie selber in Verruf gekommen, und im Ernstfall wäre ganz Lüneburg als „Nazi“-Hochburg durch die Medien geschleift worden.

Die Angst vor dem Medienpranger und die Isolationsfurcht ist größer als der Wille und die Fähigkeit, zur Gerechtigkeit und Wahrheit zu stehen. Als Elisabeth Noelle-Neumann vor dreißig Jahren in der „Schweigespirale“ die Neigung der Menschen analysierte, sich so zu äußern und zu verhalten, daß sie mit der wahrgenommenen Mehrheitsmeinung übereinstimmen, da waren die  Medien ein mächtiges, aber nur ein Teilsystem neben anderen: Exekutive, Parteien, Rechtsstaat, gesellschaftliche Strukturen bildeten ein Gegengewicht.

Heute sind Medien, Politik, Gewerkschaften, Universitäten, Kirchen, Vereine usw. zur Einheitsfront im „Kampf gegen Rechts“ zusammengeschweißt, die kein Entkommen erlaubt. Ob ein Berufsverbot wie jetzt in Niedersachsen informell via Presse exekutiert oder per Ministererlaß institutionalisiert wird wie in Mecklenburg-Vorpommern, macht keinen Unterschied.

Der Fall aus Lüneburg ist ein weiteres Beispiel dafür, daß der „Kampf gegen Rechts“ in eine neue Phase eingetreten ist, in der es um die soziale Vernichtung von politisch Unliebsamen geht. Das betrifft längst nicht nur NPD-Sympathisanten. Gerade verlor in Berlin jemand seine Stelle als Graphiker, weil ein junger Kollege die Zeitschrift Sezession auf seinem Schreibtisch liegen sah und darin blätterte. Bei Google fand er die Unterschrift des Delinquenten unter einem Appell der JUNGEN FREIHEIT für die Meinungsfreiheit; drei Leserbriefe; eine Bücherempfehlungsliste bei Amazon mit Ernst Jünger, Carl Schmitt, Karlheinz Weißmann, Joachim Fernau und der verstorbenen Richterin Kirsten Heisig. Mit dieser Ausbeute ging er zum Chef, der sofort die Konsequenzen zog. Der Zuträger begründete sein Vorgehen damit, daß man „wachsam“ sein müsse. Der junge Mann ist kein Produkt des Stasi-Staates, sondern der modernen Bundesrepublik.

Die Entwicklung besitzt eine quantitative und qualitative Dynamik, die unheimlich ist. Die Betreiber einer Kampagne, die den Vertrieb rechter Presseorgane verhindern will, erklärten, es gehe „um einen gesellschaftlichen Prozeß, in dem reaktionäre Ideologien, wie sie in diesen Zeitungen verbreitet werden, nicht mehr als eine einfache ‘Meinung’ unter vielen anerkannt und diskutiert werden können“. Ein luzider Kommentator der Süddeutsche Zeitung nannte das „eine privat organisierte Zensur“, die „eine große Mehrheit hinter sich weiß“ und „für ein politisch gesäubertes Medienangebot (sorgt). Das ist nicht nur grundgesetzfeindlich, das ist letztlich totalitär.“

Der Kommentar hat nicht übertrieben, denn aus dem „Kampf gegen Rechts“ wird die Selbstermächtigung abgeleitet, mit physischer und psychischer Gewalt die Regeln im öffentlichen Raum neu zu bestimmen. „Mehrheit“ bedeutet nur, daß die Aktivisten sich als Vollstrecker der Medienmeinung und von staatlichen Insinuationen fühlen dürfen. Die Bezeichnungen „faschistisch“, „rechts“, „rechtsextrem“, „verfassungsfeindlich“, „menschenfeindlich“ werden nahezu synonymisch und beliebig verwendet. Seit einiger Zeit kommt das Wort „islamophob“ hinzu. Kürzlich geriet auch die FDP unter Extremismus-Verdacht, weil sie den Sozialstaat verschlanken will.

Ob die Kämpfer wider die „Gefahr von rechts“ selber an sie glauben? Paranoiker gibt es immer, doch eher geht es wohl um einen Feldversuch, mit dem ausgetestet wird, wieviel Repression möglich ist, ohne daß die Betroffenen revoltieren. Oder sollen gar kriminelle Akte provoziert werden, die einen massiven Gegenschlag und eine neue Gesetzeslage propagandistisch legitimieren?

Vergleicht man Gesetz und Realität, dann wirkt die Situation orwellsch: Wer im Rahmen der Verfassung seine Freiheitsrechte wahrnimmt, wird als Verfassungsfeind bekämpft, während diejenigen, die sich durch diesen Kampf als praktizierende Feinde des Rechtsstaats und der Verfassung zu erkennen geben, als deren besorgte Hüter gelten. Diese falschen Hüter haben indes knallharte politische Positionen: Sie treten für Egalitarismus, Umverteilung, Humanitarismus, Multikulturalismus ein, für Gender-Ideologie, Antifaschismus, Schuldtheologie und wollen ihr Weltbild als die alleinseligmachende Auslegung der Verfassung sanktionieren.

Wir erleben die schleichende Etablierung eines Doppelstaates. Der Jurist und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, der zwischen 1933 bis zu seiner Exilierung 1938 einschlägige Erfahrungen in Deutschland sammelte, hat diesen Prozeß als die sukzessive Zurückdrängung des Normen- durch den Maßnahmenstaat beschrieben. Unter Normenstaat verstand er das republikanische Regierungssystem, das jene Rechtsordnung aufrechterhält, wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten zum Ausdruck kommt und die dem Bürger den Freiraum eröffnet, wo er seine Vorstellungen vom richtigen Leben verwirklicht.

Der Maßnahmenstaat hingegen ist das Herrschaftssystem der Willkür, das sich über rechtliche Garantien hinwegsetzt. Der Freiraum schrumpft hier zur Linie, welcher der Bürger zu folgen hat. Für den Maßnahmenstaat ist die Zweckmäßigkeit einer Handlung entscheidend, im Normenstaat ist es die Gesetzlichkeit.

Fraenkel spricht vom Doppelstaat, weil der Maßnahmenstaat nicht in reiner Form existiert. Der Normenstaat bleibt formal gültig, weil sonst die ganze staatliche und öffentliche Ordnung zusammenbrechen würde. Die neue Qualität und Paradoxie der gegenwärtigen Entwicklung besteht darin, daß der Maßnahmenstaat sich auf keine totalitäre Ideologie stützt, sondern als glühendster Verteidiger des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates auftritt. Das bedeutet aber lediglich, daß die Institutionen und Begriffe des Liberalismus, auf denen der Gesetzes- bzw. Normenstaat beruht, von unliberalen Mächten okkupiert und zu deren Instrumenten und Machtpositionen gemacht worden sind.

Entheimatung und Entrechtung

Sein wichtigster Antrieb scheint aktuell die veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung zu sein. Die „Integration“ der Zuwanderer meint keine Annäherung an eine deutsche Leitkultur (die sich dadurch ebenfalls, allerdings evolutionär verändern würde), sondern die Gleichwertigkeit der Kulturen, Gebräuche, Traditionen, letztlich auch Rechtssysteme auf deutschem Territorium. Das bedeutet die Desintegration von Staat und Gesellschaft, was wiederum einen neuen Integrationsbedarf erzeugt, der durch den totalen Umbau von Staat und Lebenswelt befriedigt werden soll.

Praktisch läuft es darauf hinaus, daß die autochthonen Deutschen im multiethnischen Land nur noch eine Ethnie unter vielen sein werden und ihre weitgehende Entheimatung und Entrechtung hinzunehmen haben. Ihre finanzielle Belastung wird steigen, damit der Staat imstande ist, unter agilen, jedoch weniger leistungsfähigen Zuwanderergruppen für sozialen Frieden zu sorgen. Weil alle menschlichen Instinkte, einschließlich des politischen, sich gegen diesen Umbau wehren, tritt der Maßnahmenstaat auf den Plan.

Die Medien als eines seiner integralen Bestandteile verschärfen die Isolationsdrohung gegen das Individuum, und die Strafverfolgung gegen Verbrecher wird – unter dem Vorwand der Volksverhetzung und des „Kampfes gegen Rechts“ – zum Kreuzzug gegen Ketzer umfunktioniert. Diese sind in der Regel zwar machtlos, doch was zählt, ist die abschreckende Wirkung ihrer wiederholten öffentlichen Vernichtung.

Der Revolutionär Saint Just sagte am 16 April 1794 vor dem Konvent in Paris: „Recht, Moral, Revolution, die drei sind identisch. Der Gegenrevolutionär und der unmoralische Mensch – sie sind ein und dasselbe – sollten gleichermaßen geschändet werden und ein elendes Leben führen als Steineklopfer, als Volk von Heloten.“ Eine Drohung, die sich heute längst nicht nur an NPD-Anhänger richtet.          

Foto: Gefahrstelle: Alle menschlichen Instinkte, einschließlich des politischen, wehren sich gegen den totalen Umbau von Staat und Lebenswelt

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