© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Weniger Staat, mehr Eigeninitiative, und das global!
Der Liechtensteiner Fürst Hans-Adam II. über demokratische Legitimation, Staatsmodelle und die Sehnsucht nach dem Nachtwächterstaat
Hans-Bernhard Wuermeling

Die Fachleute werden ihre Nasen rümpfen über ein Buch, das der Verfasser als Kochbuch bezeichnet. Es will politische Rezepte dazu liefern, den Staat im dritten Jahrtausend für alle Menschen genießbar zu machen. Es verzichtet auf wissenschaftliches Beiwerk. Dafür liest es sich – in englischer wie deutscher Fassung – flüssig und zeigt, daß der Verfasser einen Standpunkt hat. Aber nicht den sprichwörtlichen mit dem Radius Null. Vielmehr mißt seine Standfläche genau 16 Quadratkilometer – so groß ist nämlich das Fürstentum, das der Autor regiert: Hans-Adam II. von Liechtenstein.

Er fürchtet sich nicht, die Großen dieser Welt anzugreifen. Kennedys Diktum „Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern was du für den Staat tun kannst!“ hält er entgegen: „Frage nicht, was der Bürger für den Staat tun kann, sondern was kann ein Staat besser als eine andere Organisation für den Bürger?“ Diese könne eine Gemeinde, eine internationale Organisation oder ein Privatunternehmen sein. Der traditionelle Staat sei als Monopolist ineffizient, eine Gefahr für die Menschheit. Damit folgt der Autor, ohne es zu nennen, dem Subsidiaritätsprinzip. Dem Staat als Dienstleister überläßt er nur Außenpolitik und Wahrung des Rechts, Aufgaben, die andere nicht besser erfüllen können. Gegen alle Zentralisierungstendenzen gesagt: The bigger the better sei falsch, small is beautiful richtig.

Roter Faden ist das Selbstbestimmungsrecht: von der Freiheit des Verbrauchers bei der Produktwahl bis zum Recht auf Auswanderung, sogar dem Recht von Volksteilen, mit Grund und Boden aus dem Staat auszuscheiden. Zwar sei das Selbstbestimmungsrecht in UN-Grundsätzen festgeschrieben, doch werde darauf kaum Rücksicht genommen. Um es wissenschaftlich zu untermauern und zu verwirklichen, wurde 2000 in Princeton eine „Denkfabrik“ zur Erforschung und Vermeidung gefährlicher, katastrophenträchtiger Entwicklungen gegründet.

Bescheiden bezeichnet sich der studierte Volks- und Betriebswirt als Hobby-Historiker, der aus der Geschichte zu lernen versucht. Überlegungen gelten etwa der Rolle der Religion bei der Staatenbildung. Religion wird rein von ihrer funktionalen Seite betrachtet, unter Ausklammerung der Wahrheitsfrage. Daß mit einer Art evolutionärem Religionsgen bestimmten Gruppen ein Überlebensvorteil gegeben sei, wirkt eher flach. Dagegen sind Gedanken zum Einfluß der Militärtechnologie auf die Staatsgröße aufschlußreich.

Fünf Kapitel widmen sich der klassischen Trias Monarchie, Oligarchie und Demokratie. Unter Monarchie wird nicht nur die erbliche verstanden, sondern jede Regierungsform, die ein gewählter oder auch usurpierender Präsident für eine bestimmte Zeit leitet. Jeder Monarch bedürfe der Hilfe seiner Oligarchen, der „Technokraten der Macht“, heute seines Beamtenapparates als stärkstes Element im Staat. Oligarchen aber tendierten dazu, ihre Macht auf Kosten des Monarchen und des Volkes zu zementieren. Um Oligarchen und Monarchen in Schach zu halten, müsse man Elemente direkter Demokratie einbauen. Jede Regierung bedürfe einer Legitimation; die religiöse im Sinne eines Gottesgnadentums sei obsolet, nur demokratische könnten noch Geltung beanspruchen.

Da der Autor durch Geburt zur Regierung gekommen ist – also durch Abstammung von „Gottes Gnaden“–, andererseits aber nur eine demokratische Legitimation gelten läßt, findet er eine elegante Lösung für dieses Dilemma, nämlich in Liechtensteins Verfassung von 2003. Nach ihr kann das Volk dem Monarchen durch Abstimmung das Vertrauen entziehen. Das Fürstenhaus wird dann entscheiden, ob der Fürst seines Amtes enthoben und wer dem Hausgesetz entsprechend neu berufen wird. Lehnt das Volk diese Entscheidung ab, kann es für die Abschaffung der Monarchie votieren. Durch permanente Nichtabwahl durch das Volk, sozusagen ex negativo, erhält der Fürst so eine indirekte demokratische Legitimation.

Ein ausführliches Kapitel ist dem Staat der Zukunft gewidmet. Bereits jetzt stoße das Sozialsystem an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Der Staat solle sich schrittweise ganz aus dem Sozialwesen zurückziehen, beispielsweise mit dem Übergang vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren im Rentenwesen und der Erhöhung des Rentenalters. Dem müßte schließlich eine Übertragung des gesamten Sozialwesens auf die Gemeindeebene folgen.

Das Bildungswesen sei vom Kindergarten bis zur Universität mit staatlichen Gutscheinen zu finanzieren. Es sei besser, damit Eltern zu subventionieren als öffentliche, bürokratisch ineffiziente Bildungseinrichtungen. Eltern könnten zwischen Einrichtungen wählen, die, privat oder von Gemeinden betrieben, miteinander konkurrieren – Selbstbestimmung bis ins Letzte!

Der erfahrene Politiker weiß selbstverständlich, daß seine Vorschläge nicht von heute auf morgen zu verwirklichen sind. Doch zeichnet er vor, wohin schrittweise zu gehen ist: weniger Staat, mehr Eigeninitiative, und das global! Hans-Adam II. unternimmt den utopisch erscheinenden Versuch, für eine weite Zukunft eine Musterverfassung zu entwerfen – damit wir vorbereitet sind, wenn sich unerwartet neue Chancen ergeben. Darum sollte man die Ideen des Liechtensteiners nicht unbeachtet lassen. Sie leisten Vorarbeit für Zukünftiges, das wir nicht erzwingen können, durch das sich aber wie damals mit dem Mauerfall in Berlin plötzlich ungeahnte Chancen auftun.

Hans Adam von Liechtenstein: Der Staat im dritten Jahrtausend. Stämpfli Verlag, Bern 2010, gebunden, 237 Seiten, 34 Euro

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