© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Sarrazins Manifest
Integration: Schon bevor das Buch des SPD-Politikers auf dem Markt ist, sorgen seine Thesen zur Einwanderung für Aufruhr
Victor Gaché

Thilo Sarrazin hat zwei Jahre daran gearbeitet, seinem Ruf als größter Tabubrecher Deutschlands gerecht zu werden. Auf Anregung der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) hat er nun ein Buch verfaßt, das mit der bisherigen Einwanderungs- und Integrationspolitik hart ins Gericht geht und eine radikale Umkehr fordert. Schon vor der offiziellen Vorstellung des Buchs haben Sarrazins Thesen einen Sturm des Protests ausgelöst. Dabei wird „Deutschland schafft sich ab“ erst am Montag der Öffentlichkeit präsentiert – nicht in irgendwelchen Verlagsräumen, sondern mitten im Berliner Regierungszentrum. Alle Augen und Kameras werden dann auf den früheren Berliner Finanzsenator gerichtet sein, der immer noch SPD-Mitglied ist. Sarrazin hat es schon als Senator verstanden, die Öffentlichkeit mit seinen Einlassungen zu fesseln. Mit Vorschlägen wie dem Hartz-IV-Menü und provokanten Äußerungen zu türkischen Obst- und Gemüsehändlern hat er mehrfach auf sich aufmerksam gemacht. (Dossier zum Fall Sarrazin unter www.jungefreiheit.de)

Der Verlag stellt Sarrazin als „einen der profiliertesten politischen Köpfe der Republik“ vor, der sich nicht damit abfinden wolle, daß „Deutschland nicht nur älter und kleiner, sondern auch dümmer und abhängiger von staatlichen Zahlungen wird“.

„Ein Rassist im Vorstand der Bundesbank“

Er selbst widmet sich in dem Buch – soviel ist durch Vorabveröffentlichungen bereits durchgesickert – den Themen demographischer Wandel und Einwanderung (siehe Kasten). Geht der Trend so weiter wie bisher, dann wird es bald keine Deutschen mehr geben, fürchtet er. In 300 Jahren gibt es noch drei Millionen Deutsche, wenn der Geburtenniedergang so weitergeht: „Warum sollte uns das Klima in 500 Jahren interessieren, wenn das deutsche Gesellschaftsprogramm auf die Abschaffung der Deutschen hinausläuft?“

Um das Publikum anzuheizen, hat der Spiegel vorab einen langen Auszug aus dem Buch gedruckt. Die Bild veröffentlicht sogar eine ganze Serie zur Neuerscheinung. Andere Zeitschriften können da nicht mithalten. Journalisten, denen das Buch bereits vorliege, sei es bei Strafe untersagt, vorab daraus zu zitieren, heißt es aus Verlagskreisen. Mit anderen Worten: Die neueste Provokation ist vom Verlag und vom Autor minutiös vorbereitet. Es sind keine spontanen Unmutsäußerungen, die ein Bundesbanker zur Tagespolitik macht. Das ist alles wohlkalkuliert. Das große Rätsel bleibt, was Sarrazin damit erreichen will. Bislang hat er sich jedesmal großen Ärger eingehandel. Schon das aufsehenerregende Interview, das Sarrazin im November vergangenen Jahres der Kulturzeitschrift Lettre International gab und in dem er ähnliche Thesen wie die nun im Buch veröffentlichten vorgetragen hatte, brachte  ihm einen Rüffel seines Vorgesetzten Bundesbankchef Axel Weber ein  – und den Entzug eines Aufgabenbereichs. Bankchef Weber hat sich von Sarrazin distanziert und ihn zu einer Entschuldigung genötigt.

Damals hieß es, Sarrazin dürfe sich nun nichts mehr zuschulden kommen lassen. Das hat er mit dem Buch aus Sicht der Empörten und Mißvergnügten zweifellos getan. Schon ruft ein Migrantenverband zum Boykott gegen das Verlagshaus auf. Der Fraktionschef der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, schimpft, Sarrazins Äußerungen seien „rechtspopulistisch“ und grenzten an Volksverhetzung, was juristisch geprüft werden müsse. „Hätte er im Amt unter Rot-Rot solche Positionen vertreten, dann wäre er die längste Zeit Senator gewesen.“ Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele stieß in das gleiche Horn. „Das SPD-Mitglied Sarrazin steht für das Gegenteil rot-grüner Politik“, sagte er dem Berliner Kurier.

Mit seinen Äußerungen habe sich Sarrazin „zum Fürsprecher rechtsextremistischer Parteien und Bewegungen“ gemacht, behauptete der Interkulturelle Rat in Deutschland laut einer Meldung der Nachrichtenagentur KNA. Für die angesehene Deutsche Bundesbank sei es „eine Schande, einen Rassisten im Vorstand zu haben“. Kritik an den Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators kam auch vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Sie seien „eine groteske Mischung von statistisch verbrämten Halbwahrheiten, Vorurteilen, Unterstellungen und bösartigen Verallgemeinerungen“, zitiert der Focus den Vorsitzenden Klaus Bade. Sarrazin profiliere sich als „mediensüchtiger Besserwisser“.

Auch aus der SPD kommt bereits scharfer Gegewind. Seine Positionen hätten „absolut nichts mit sozialdemokratischer Integrationspolitik oder überhaupt mit demokratischer Politik zu tun“, sagte der Berliner SPD-Landes-chef Michael Müller dem Tagesspiegel. Die reine Lust an der Provokation treibe seinen Genossen Sarrazin zu „immer fragwürdigeren und menschenverachtenden Aussagen“, sagte Müller, der in diesem Zusammenhang von „absurden Ergüssen“ sprach.  Im März dieses Jahres hatte die Berliner Landesschiedskommission der SPD einen Parteiausschluß Sarrazins abgelehnt. Eine Volkspartei wie die SPD müsse auch provokante  Äußerungen aushalten, hieß es damals. Einen anderen Ton schlug der Berliner CDU-Chef Frank Henkel an. Er könne „auf jemanden verzichten, der den Holzhammer erst dann rausholt, wenn die Pension gesichert ist“.

 

Zitate aus dem Sarrazin-Buch:

 „Über die Folgen des Geburtenrückgangs durfte man Jahrzehnte überhaupt nichts sagen, wenn man nicht unter völkischen Ideologieverdacht geraten wollte. Das hat sich inzwischen geändert, da die Generation der Achtundsechziger Angst um ihre Rente bekommen hat. Aber jetzt ist es vierzig Jahre zu spät.“

 „Die sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration waren stets tabu, und schon gar nicht durfte man darüber reden, daß Menschen unterschiedlich sind – nämlich intellektuell  mehr oder weniger begabt, fauler oder fleißiger, mehr oder weniger moralisch gefestigt – und daß noch soviel Bildung und Chancengleichheit daran nichts ändert.“

 „Ich möchte nicht, daß wir zu Fremden im eigenen Land werden.“

 „Ich glaube, daß wir ohne einen gesunden Selbstbehauptungswillen als Nation unsere gesellschaftlichen Probleme nicht lösen werden.“

 „Es ist das Recht einer jeden Gesellschaft, selbst zu entscheiden, wen sie aufnehmen will, und jedes Land hat das Recht, dabei auf die Wahrung seiner Kultur und seiner Traditionen zu achten.“

 „Besonders eklatant wirken die Fehlanreize des deutschen Sozialstaats bei Familien mit Migrationshintergrund. (...) In den USA bekämen diese Migranten keinen müden Cent. Deshalb sind sie auch nicht dort, sondern in Deutschland.“

Die Rezension des neuen Buchs von Thilo Sarrazin sowie weitere Reaktionen lesen Sie in der nächsten JF-Ausgabe.

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