© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Grüne Überraschung
Australien: Bei den vorgezogenen Neuwahlen erreichte weder die Labour-Regierung von Julia Gillard noch die liberal-konservative Opposition eine Mehrheit
Ronald Gläser

Mit Julia Gillard war im Juni erstmals eine Frau ins Amt des australischen Premierministers gewählt worden. Und die 1966 aus Wales eingewanderte Ex-Bildungsministerin hatte noch viel vor: Sie wollte das Commonwealth of Australia in eine Republik umwandeln, allerdings erst nach dem Ableben von Königin Elisabeth II. Ob die 50jährige nun im Amt bleiben kann, ist mehr als fraglich. Ein anderer geborener Brite könnte sie ablösen: Tony Abbott, der Spitzenkandidat des liberal-konservativen Oppositionsbündnisses Coalition.

Denn die Wähler in Australien haben ihrer linken Regierung am vergangenen Wochenende eine herbe Niederlage zugefügt, der Coaliton aber dennoch nicht zum Sieg verholfen. Die Australian Labor Party (ALP) erhielt mit 38 Prozent (-5,4 Prozentpunkte) das schlechteste Ergebnis, das eine Regierungspartei seit dem Zweiten Weltkrieg hinnehmen mußte. Nur dank des bei den Abgeordnetenhauswahlen geltenden Mehrheitswahlrechts liegt die ALP mit 71 von 150 Sitzen (bislang 83) noch gleichauf mit der Coalition, die mit 44 Prozent (+1,9) ebenfalls 71 Sitze (2007: 59) erreichen konnte. Überraschungssieger sind die Grünen, die mit 11,5 Prozent (+3,7) drittstärkste Partei wurden, aber wegen des Wahlrechts nur einen Abgeordneten stellen werden. Vier Mandate gehen an unabhängige konservative Kandidaten. Drei Sitze waren bei Redaktionsschluß noch nicht ausgezählt. Im Senat verfügt die Coalition künftig über 34 Sitze, die ALP hat 31 und die Grünen neun. Hinzu kommen zwei Unabhängige.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es damit in Canberra ein hung parliament, also keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse, ähnlich wie nach der Unterhauswahl im „Mutterland“ Großbritannien. Drei der vier unabhängigen Abgeordneten gehörten früher allerdings zur National Party (NPA), die Teil der Coalition ist. Sie werden nun zu den Königsmachern. Etwa der Katholik Bob Katter aus Queensland, der mit kritischen Äußerungen über Homosexualität und zum Thema Klimawandel für Furore sorgte. Auch Tony Windsor und Rob Oakeshott waren einst NPA-Mitglieder. Kim Wilkie ist hingegen ein ALP-Abtrünniger.

Milliarden für bessere Internetanschlüsse?

Sollten die drei ausstehenden Mandate an Konservative oder die Coalition gehen, dann wären die Tage von Julia Gillard gezählt und das weibliche Intermezzo an der Regierungsspitze hätte nicht einmal ein Vierteljahr gedauert. Gillard hatte die vorgezogenen Neuwahlen angesetzt, weil ihre Fraktion im Frühsommer den bisherigen Amtsinhaber Kevin Rudd entmachtet hatte. Der Versuch, sich kurzfristig ein neues Wählermandat zu verschaffen, ist aber gründlich schiefgegangen. Die Wähler wanderten nach links zu den Grünen bzw. nach rechts zur Coalition und den Unabhängigen ab.

Der aus London stammende konservative Spitzenkandidat Tony Abbott – verheiratet, katholisch, drei Töchter, Abtreibungsgegner, Bezweifler des menschenverursachten Klimawandels – ist ein glatter Gegenentwurf zur kinderlosen Gillard, die mit einem geschiedenen Immobilienhändler in „wilder Ehe“ lebt und sozial-liberal eingestellt ist. Wenn Gillard dennoch die Stimmen der Unabhängigen haben will, dann muß sie ihnen etwas bieten.

Diese Abgeordneten aus ländlichen Gebieten haben eine Hauptforderung an Canberra: bessere Telefon- und Internetverbindungen. Australien ist groß, das Internet ist langsam. Als beispielsweise die US-Weltraumbehörde Nasa im Mai in Zentralaustralien drei Luftballons mit Meßgeräten in den Himmel aufsteigen lassen wollte, da mußte die Mission verschoben werden – wegen der Langsamkeit der Internetverbindung.

Die Labor-Regierung unter Gillard hatte vor der Wahl ein 30-Milliarden-Projekt zum Ausbau des Kommunikationsnetzes angekündigt. Die Coalition war vehement dagegen. Eine Zusammenarbeit zwischen den Unabhängigen und der konservativen Koalition ist daher keineswegs eine ausgemachte Sache. Die drei Königsmacher haben eine Tolerierung einer linken Minderheitsregierung nicht ausgeschlossen. Genausogut ist denkbar, daß die instabilen Mehrheitsverhältnisse dazu führen, daß es bald Neuwahlen gibt.

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