© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Der Islam hat Amsterdam verändert
Besuch in der Grachten-Metropole: Der Bau einer Großmoschee hat schon für viel Unruhe gesorgt
Hinrich Rohbohm

Der Halbmond an der Spitze des schmalen grünen Türmchens auf dem Dach fällt nur bei genauem Hinsehen auf.  Ansonsten wirkt das Gebäude am Postjesweg Nummer 124 eher unscheinbar – wäre da nicht das weiße Transparent, das über dem Eingang hängt. „Wij blijven hier totdat  de Westermoskee afgebouwd is“ steht mit roter Farbe draufgeschrieben.  „Wir bleiben hier, bis die Westermoschee aufgebaut ist.“ Wir, damit sind die Muslime der Ayasofya-Moschee gemeint. Seit 15 Jahren warten sie auf die Fertigstellung ihres neuen Gebetshauses.

Und sie sind sauer. „Die Stadt hält uns hin“, sagt eine junge Muslimin, die gerade in dem innerhalb der Moschee befindlichen Lebensmittelgeschäft ihre Einkäufe erledigt hat. Sie ist schwanger, trägt Kopftuch. Die Einkaufstüte in der einen, ihren drei Jahre alten Sohn an der anderen Hand, beginnt sie sich in Rage zu reden. „Immer wieder kommen neue Forderungen“, wettert sie in gebrochenem Englisch gegen die Stadtverwaltung. Es geht um den Bau der Westermoschee, des neu geplanten Domizils der islamischen Ayasofia-Gemeinde im Westen von Amsterdam.

Hier soll eine der größten Moscheen Europas entstehen

Hier, im Stadtteil Baarsjes, soll eine der größten Moscheen Europas entstehen. Bis zu 50 Millionen Euro wird der auf einem 10.000 Quadratmeter großen Grundstück geplante Komplex kosten. Das dazugehörige Minarett wird 42 Meter in die Höhe ragen, ausgestattet mit zwei Gängen und einem gesonderten Gebetsraum für Frauen. Ein Konferenzraum, eine Brunnenanlage und eine türkische Badeanstalt werden ebenso dazugehören wie Bibliothek, Fitneß-Anlage, 114 Wohnungen und 238 Parkplätze.

 Wenn alles fertig ist, soll das Bauwerk der Süleymaniye-Moschee von Istanbul ähneln – einer Gebetsstätte mit unmißverständlichem Symbolcharakter. Sultan Süleyman, der die osmanische Moschee zwischen 1550 und 1557 erbauen ließ, hatte im 16. Jahrhundert weite Teile Osteuropas für den Islam erobert. Im Jahre 1529 stand er mit einem Heer von 120.000 Mann vor den Toren von Wien. Der Süleymaniye-Moschee wird daher ein ähnlich imperialer Anspruch nachgesagt wie der Fatih-Moschee Sultan Mehmets des Zweiten, der am 14. Mai 1453 für die Türken und den Islam Konstantinopel eroberte.

„Wir haben das nötige Geld zusammenbekommen. Aber jetzt sollen wir auf einmal noch mehr bezahlen“, erzählt die Frau erregt weiter. Rechts neben dem Moschee-Eingang sitzen mehr als 50 zumeist ältere Muslime. Einige tragen die Tacke als Kopfbedeckung. Sie trinken Tee, rauchen und schauen Fußball. „Alles hätte längst fertig sein können“, meint einer von ihnen. „Aber die Stadt will uns nicht, sie sabotiert uns und lehnt unseren Glauben ab.“ Ein zustimmendes Kopfnicken am Nachbartisch. Sie wollen nur friedlich beten, versichern sie.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Kein Wort fällt über die Herkunft der Gelder für die neue Moschee. „Das sind meist Spenden“, sagt eine junge Marokkanerin. Darüber wisse man nichts Genaues, einigen sich die älteren Besucher nach einigen arabischsprachigen Wortwechseln untereinander auf eine gemeinsame Antwort.

Auch über die Hintermänner des Projekts spricht keiner – darüber, daß der Bau nicht zuletzt deshalb so umstritten ist, weil er von der türkisch-islamischen Bewegung Milli Görüş vorangetrieben wird. Bereits 1994 hatte die Organisation, der islamistische Bestrebungen nachgesagt werden, versucht, eine Baugenehmigung von der Stadt zu erhalten. Zunächst ohne Erfolg. Ein Kompromiß über städtische Bebauungsplanänderungen zwischen dem Bezirk De Baarsjes, der beteiligten Wohnungsbauvereinigung Het Oosten und der niederländischen Milli-Görüş-Sektion sorgte schließlich dafür, daß der Bau doch beginnen konnte. Die Bedingung: Unabhängigkeit der Moschee von der Deutschland-Zentrale der Milli-Görüş-Bewegung, die noch weitaus radikalere Absichten als ihr niederländischer Ableger verfolgen soll.

Doch im Januar 2007 kam heraus, daß in Köln per Geheimvertrag bereits die Machtübernahme der deutschen Milli-Görüş-Organisation festgelegt worden war. Ein halbes Jahr später hatte der auf Druck von Milli Görüş Deutschland eingesetzte niederländische MG-Chef Fatih Uçler Dag im Fernsehsender Al Jazeera zum „gewaltlosen Aufstand“ aller Türken Europas gegen die Gemeinde Amsterdam aufgerufen. Gleichzeitig drohte der MG-Funktionär: „Unsere Leute sind nun einmal emotional und da könnte dann auch ein Verrückter dabei sein.“  Wenn die Stadt Amsterdam Milli Görüş einen großen Moscheebau verweigere, werde der Widerstand „enorm“ sein, hatte Dag erklärt.

Aussagen, von denen sich der damalige Amsterdamer Bürgermeister John Cohen offenbar beeindrucken ließ. Er könne sich durchaus vorstellen, auch radikale Moslems finanziell zu subventionieren, wird der Sozialdemokrat im Juli vorigen Jahres von Dutch News zitiert. Die Ablehnung der von ihm beantragten finanziellen Unterstützung für die Westermoschee sehe er zudem als diskriminierend an.

Auch vom aufgeflogenen Finanzschwindel mit islamistischen Anlagen, bei denen Tausende Türken ihr Geld verloren hatten, will man in der Moschee nie etwas gehört haben. Der Ex-Vorsitzende der Westermoschee war im August 2007 wegen Verdachts von Verdunkelung und Geldwäsche verhaftet, in seiner Wohnung zahlreiche Feuerwaffen sichergestellt worden. Der Finanzschwindel und interne Zwistigkeiten innerhalb von Milli Görüş hatten schließlich dazu geführt, daß der schon begonnene Bau auf Eis liegt.

Türken und Marokkaner prägen das Stadtbild

Die Tatsache, daß die derzeitige Gebetsstätte am Postjesweg nur angemietet ist, sorgt für zusätzliche Brisanz. Denn Eigentümer des Gebäudes ist die gegenüber auf der anderen Straßenseite befindliche Augustinuskirche.

Während in der Moschee das Leben tobt, wirkt das Gotteshaus gegenüber nahezu gespenstisch leer. „Geschlossen“, erklärt eine Mitarbeiterin des an die Kirche angrenzenden Altenheims „Cordaan“. Die grauhaarige Dame kennt die Geschichten um die Westermoschee. Und es ist ihr unangenehm, darüber zu reden.

„Ja, das ist eine längere Geschichte“, beginnt sie zu erzählen, den Blick zur Seite gerichtet, als müsse sie sich für das schämen, was sie sagen will. „Die Kirche hätte da schon längst eingezogen sein sollen.“ Aber die Moslems bleiben da, wollen nicht raus. Stadt und Kirche dulden es. „Konflikte?“ Nein, Konflikte gebe es mit der Moscheegemeinde überhaupt nicht, beeilt sich die Dame zu beteuern. Aber mehr möchte sie dazu auch gar nicht sagen.

Der Islam hat das Bild der als linksliberal geltenden Stadt verändert. Seit den Morden von Islamisten an dem Politiker Pim Fortuyn und dem Künstler Theo van Gogh ist Holland anders geworden. Die Sicherheitsvorkehrungen in der Grachtenstadt haben sich erhöht. Die Dealer aus den einstigen Kolonien von Niederländisch-Indien oder Niederländisch-Guayana sind auf den Straßen seltener geworden. Nur vor den staatlich zugelassenen Coffeeshops, in denen Drogen legal erworben werden können,  steigt einem stechender Marihuana-Geruch in die Nase.

Multikulti scheint auch im einst so toleranten Amsterdam vor dem Aus zu stehen. Türken und Marokkaner prägen zunehmend das Stadtbild. Mehr als eine Million Moslems leben mittlerweile in den Niederlanden. Mit ihrer Zunahme haben sich auch Übergriffe auf Juden erhöht, für die Amsterdam einst ein kulturelles Zentrum war, dem sie den Spitznamen Mokum gaben. Mokum ist ein jiddischer Begriff. Er bedeutet, daß sich Juden hier sicher und zu Hause fühlen können. Das hat sich inzwischen geändert. Im Oktober 2008 war es Ber van Halem, der das zu spüren bekam.  „Kankerjood“, hatte ihm eine Gruppe Jugendlicher zugerufen: Krebsjude. Er wurde geschlagen, fiel zu Boden, erhielt Tritte in den Magen. Die Täter wurden nie gefaßt. Die Polizei habe selbst Tage nach der Tat keine Zeit gefunden, die Anzeige des jungen Juden aufzunehmen, hieß es.

Steigende Anzahl antisemitischer Übergriffe

Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl gewalttätiger antisemitischer Übergriffe im Vergleich zum Vorjahr von 14 auf 30 sogar verdoppelt. Ein Thema, bei dem noch immer viele Amsterdamer verschämt wegsehen. „Alles ist friedlich“, hört man sie am Postjesweg gebetsmühlenartig sagen.

Doch die jüngsten Wahlerfolge der Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit; PVV) sprechen eine andere Sprache. Die neue Gruppierung um ihren durch den islamkritischen Film „Fitna“ bekannt gewordenen Vorsitzenden Geert Wilders wurde bei den Parlamentswahlen im Juni mit 15,5 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft – ein Indiz dafür, daß es in den Niederlanden offenbar längst nicht alle mehr friedlich finden. In der Moschee am Postjesweg heißt es derweil weiter: „Wij blijven hier totdat de Westermoskee afgebouwd is.“

 

Stichwort: Milli Görüş

Milli Görüş bedeutet übersetzt „Nationale Sicht“ und ist eine islamistische Bewegung, die maßgeblich mit Necmettin Erbakan verbunden ist. Der spätere türkische Ministerpräsident gründete die Organisation mit dem Ziel, ein soziales, politisches und ökonomisches System auf der Grundlage des Islam zu errichten. Nach der islamischen Revolution 1979 im Iran radikalisierte sich die Bewegung zunehmend. Sie gilt als türkisch-nationalistisch und antisemitisch, obwohl sich ihre Führung vom Antisemitismus öffentlich distanziert. Eines ihrer Ziele ist der Bau und Betrieb von Moscheen. Bei einer Milli-Görüş-Versammlung im April 2001 sagte Erbakan: „Die Europäer glauben, daß die Muslime nur zum Geldverdienen nach Europa gekommen sind. Aber Allah hat einen anderen Plan.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen