© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Überforderung
Karl Heinzen

Bundespräsident Christian Wulff ist gerade einmal zwei Monate im Amt, und doch steht ihm schon klar vor Augen, welche Titanenaufgabe er zu bewältigen hat. Vor den Zuschauern des ARD-Morgenmagazins schüttete er nun sein Herz aus. Das Image von Politikern, so habe er feststellen müssen, sei miserabel, überall bringe man ihnen nichts als Häme, Spott und Mißtrauen entgegen. Folglich sei für ihn „wirklich viel zu tun, um die Gräben zu schließen, die es da gibt“.

Die paradoxe Rolle, in die Bundespräsidenten immer mehr gedrängt worden sind, ist damit in ernüchternder Weise beschrieben. Nach der Vorstellung der Väter und Mütter des Grundgesetzes sollte das Staatsoberhaupt eigentlich in der Welt herumreisen, mit Diplomaten anstoßen, Regierungsmitglieder ernennen und entlassen, Gesetze unterzeichnen und ab und zu ein paar besinnliche Worte an das Volk richten. Heute jedoch wird ausgerechnet vom höchsten und damit bürgerfernsten Verfassungsorgan vor allem erwartet, den einfachen Menschen landauf, landab den Eindruck zu vermitteln, es gäbe da noch jemanden, der für ihre Anliegen ein offenes Ohr hat.

Da der Bundespräsident keine Verantwortung trägt und sich damit nicht die Hände schmutzig machen kann, scheint er für diese Aufgabe tatsächlich prädestiniert. Mag er auch wie Wulff selbst ein Politiker gewesen sein, so ist doch dieser Makel mit der Amtsübernahme sogleich verflüchtigt. Zwar ist es eine dubiose Bundesversammlung, die ihn nach dem Willen der stärksten Parteienallianz inthronisiert. Eine Volkswahl ist allerdings keine Alternative, da er dann stets dem Verdacht ausgesetzt wäre, er wolle mit seinen Anbiederungen ja nur um Stimmen für den nächsten Urnengang buhlen.

Und doch kann auch ein Bundespräsident in seinen Bemühungen, die Versöhnung zwischen Politik und Bevölkerung herbeizuführen, nur scheitern. Mehr als Events und Auftritte, die Volksnähe signalisieren sollen, sind ihm nicht möglich. Mahnende Worte an die Politiker werden von diesen zwar pflichtschuldig angehört, Gehorsam kann er von ihnen aber nicht fordern. All diese Stilmittel sind viel zu verbraucht, als daß die Bürger durch sie noch zu besänftigen wären. Sie erwarten auch gar nicht mehr, daß die Politik ihren Wünschen folgt und ihren Interessen dient. Sie ertragen nur nicht länger die unappetitlichen Versuche, ihnen solches vorzugaukeln. Hier könnte Wulff einen neuen Stil der Wahrhaftigkeit prägen: „Nehmt die Politiker so, wie sie sind, und meckert nicht dauernd.“ Viel mehr müßte er gar nicht sagen.

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