© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Währungskrise in Europa
Die letzten Jahre des Euro
von Bruno Bandulet

Wenn es um Geld geht und damit um unser finanzielles Überleben in den kommenden Jahren, müssen wir flexibel und pragmatisch bleiben. Illusionen verbieten sich ebenso wie Panik und Hysterie.

Entsetzt kann man schon sein, wie bedenkenlos sich deutsche Politiker bei der Einführung des Euro über sämtliche Argumente und Warnungen der angesehensten Ökonomen hinweggesetzt haben, wie leichtfertig die deutsche Verfassung zurechtgebogen wurde, wie skrupellos die dem Wähler gegebenen Versprechen gebrochen wurden. „Ich bin fassungslos, weil die Deutschen ihre Vorstellung von einer harten Währung aufgegeben haben“, sagte der prominente Finanzfachmann Jim Rogers, „das hätte ich nie gedacht.“

Dabei darf der Euro nicht als isoliertes Phänomen gesehen werden. Es verhält sich wie mit den Puppen in der Puppe: Der Euro steckt im Kern der EU, so wie sie in Maastricht neu konzipiert wurde, und die EU ist nur Ausfluß einer überwölbenden Europa-Ideologie, des Europäismus. Und weil Euro und EU den Bedingungen eines Finanzsystems unterliegen, das auf ungedecktem Schuldengeld basiert, mußte die Krise, die 2008 von den USA ausging, schließlich auch die Kunstwährung Euro erschüttern. Erst die Auswirkungen der Finanzkrise haben die inneren Widersprüche der Währungsunion zutage treten lassen und Griechenland, den ersten Dominostein, zu Fall gebracht.

Jetzt stehen wir vor der absurden Situation, daß zuerst die Überschuldung der Banken die Finanzkrise auslöste, daß dann die Regierungen für die Banken garantierten und daß seit 2010 die noch solventen Staaten der EU, allen voran Deutschland, für die überschuldeten Regierungen in Südeuropa haften, um – wie es heißt – den Euro zu retten. Das Fiasko des zentralisierten Geldes wurde mit noch mehr Zentralisierung beantwortet.

Das System wird, wie der Schweizer Bankier Konrad Hummler schrieb, von logisch und ökonomisch gesehen völlig unhaltbaren Garantien aufrechterhalten, die sich aber gegenseitig unterstützen. Mit extrem hohen Beträgen habe man eine „Garantie für das Nichgarantierbare“ etabliert. Anders ausgedrückt: Deutschland haftet für Südeuropa. Wer aber haftet für Deutschland? (...)

Inmitten der Euro-Krise 2010 wurden die Weichen für eine verhängnisvolle Entwicklung gestellt, die weit über die enge Euro-Problematik hinausreicht. Beat Gygi hat dies (...) auf den Punkt gebracht: Deutschland helfe nun mit, in Europa die Umverteilung über verschiedene neue Fonds und Programme auszubauen, der Schutz des Bürgers vor dem Zugriff eines EU-Zentralorgans, das auf Geldsuche ist, sei weiter geschwächt worden, und nach der riesigen, noch laufenden Umverteilung von West- nach Ostdeutschland starte die deutsche Politik, so Gygi, nun auf oberer, europäischer Ebene ein neues, ähnliches Experiment. (...)

Der Euro steckt im Kern der EU, so wie sie in Maastricht neu konzipiert wurde. Weil Euro und EU auf einem schuldengedeckten Finanzsystem basieren, mußte die Finanzkrise auch die Kunstwährung Euro erschüttern. Mit Griechenland fiel ein erster Dominostein.

So versinkt Euro-Land in einem Sumpf von Schulden, Dirigismus und wirtschaftlicher Stagnation. Mit immer neuen Rettungspaketen, zuletzt mit den besagten 750 Milliarden Euro, werden alte Schulden nicht zum Verschwinden gebracht, sondern in neue verwandelt, ohne daß jemand die geringste Ahnung hat, wie sie zurückgezahlt werden sollen. Vielleicht hält Griechenland mit Hilfe von EU, IWF und EZB zwei oder drei Jahre durch, aber dann wird der Bankrott weitaus teurer, als dies 2010 der Fall gewesen wäre, denn bis dahin ist der Schuldenberg noch viel höher. Gewählt wurde im Mai 2010 die kostspieligste Alternative.

Die Fähigkeit der Staatsapparate und ihrer Notenbanken, das Unvermeidliche hinauszuschieben, darf man nicht unterschätzen. Ein selbstzerstörerisches, aber auch erfindungsreiches Geldsystem macht es möglich, Schulden und Geldmengen nahezu beliebig auszuweiten. Aber um welchen Preis? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch deutsche Bundesanleihen, die bislang als absolut sicher galten, unter Druck geraten. Die Länder der Euro-Zone und damit auch deren Rentenmärkte bilden schließlich neuerdings eine Schicksalsgemeinschaft. Steigende langfristige Zinsen bremsen dann das Wirtschaftswachstum und berauben die Euro-Zone damit der einzigen reellen Chance, der Schuldenfalle zu entkommen.

Wie schnell der Euro nach außen abwerten wird, läßt  sich schwerer beurteilen, weil ungedeckte Währungen nur relative Größen sind und weil auch der Dollar alles andere als eine gesunde Währung ist. Die Euro-Krise 2010 hat den Amerikanern einen Vorteil verschafft. Wenn sie ihn nutzen und von neuen Finanzkatastrophen verschont bleiben, drohen dem Euro der Rutsch unter die Parität zum Dollar und die Rückkehr zu den tiefen Kursen von 1999. Dies wiederum würde die Importe verteuern und die Inflation schüren.

Das soll allerdings nicht als Plädoyer für den US-Dollar verstanden werden. Eine um zwei oder drei Mitglieder abgespeckte Europäische  Währungsunion stünde finanziell besser da als die USA, als Großbritannien oder als Japan.

Im Jahr 2009 verbuchte Washington rund 2,1 Billionen Dollar an Einnahmen und gab über drei Billionen aus! Japan mußte mehr an neuen Schulden machen, als die Steuereinnahmen einbrachten! Das britische Staatsdefizit lag mehr oder weniger auf derselben Höhe wie das griechische! Es ist durchaus denkbar, daß sich die Aufmerksamkeit der Devisenmärkte zur Abwechslung auch einmal auf das Risiko eines Staatsbankrotts in Übersee richtet. Schwer angeschlagen ist nicht nur die Euro-Zone, sondern das gesamte westliche Banken-, Finanz- und Geldsystem.

Das wahrscheinlichste Szenario für die kommenden Jahre ist eine Kombination von einzelnen Staatsbankrotten, das heißt Umschuldungen, und einer zunächst moderaten, dann schneller zunehmenden Preisinflation – vielleicht auf Raten in Höhe von zehn Prozent oder mehr. Sicher ist nur, daß versucht werden wird, zu inflationieren und die Schulden zu Lasten der Gläubiger zu entwerten – eine aus Sicht der politischen Eliten attraktive Alternative zum offenen Staatsbankrott.

Aus der Finanzgeschichte wissen wir, daß alle bisherigen Hyperinflationen durch übergroße Staatsdefizite verursacht wurden und – ebenso wichtig – daß diese nur zu einem kleinen Teil am Kapitalmarkt finanziert werden konnten. Die Monetarisierung der Staatsschulden durch die Notenbank charakterisierte nicht nur jede große Inflation der Vergangenheit, sie war auch die Voraussetzung dafür.

Mit der Entscheidung, südeuropäische Staatsanleihen aufzukaufen, hat die EZB ein Tabu gebrochen und den Weg der systematischen Geldentwertung beschritten. Sie hat freilich immer noch die Option, den Schaden zu begrenzen, indem sie das Kaufprogramm nicht übermäßig ausdehnt oder ganz beendet.

In welchem Ausmaß inflationiert werden wird, hängt ab vom Ausgang der Machtkämpfe innerhalb der EZB und vielleicht auch davon, wer Ende 2011 die Nachfolge Trichets antritt. Als der EZB-Rat in der Nacht zum 10. Mai 2010 in einer Telefonkonferenz über den Ankauf von Staatsanleihen beriet, fiel die Entscheidung nicht einstimmig – wie sonst üblich –, sondern „mit überwältigender Mehrheit“, wie Trichet wissen ließ. Da Bundesbankpräsident Axel Weber kurz darauf mitteilte, der Ankauf berge „erhebliche stabilitätspolitische Risiken“, können wir annehmen, daß er dagegen gestimmt hat.

Wie aus Berlin zu hören ist, würde die Bundesregierung ihn gerne als Nachfolger von Trichet  durchsetzen. Als Gegenkandidat wurde bisher der italienische Notenbankchef Mario Draghi, der früher für Goldman Sachs gearbeitet hat, gehandelt. Im Mai kursierte sogar das Gerücht, Berlin habe als Gegenleistung für die Mega-Kredite den Posten für Weber verlangt. Die eher harte Linie, die Weber vertritt, kann ihm schaden – oder auch nützen. Wie die Personalentscheidung letztlich ausfällt, wird ein brauchbares Indiz für das Ausmaß der kommenden Geldentwertung sein.

So oder so wurde die Saat für eine höhere Inflation im Mai 2010 gelegt: mit der Entscheidung, das Gesundschrumpfen der Euro-Zone zu verhindern, mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB und der daraus resultierenden Verlängerung und Verschlechterung ihrer Bilanz sowie mit der Umwandlung der Währungsunion in eine Haftungsgemeinschaft.

Indem sie sich entschieden, um jeden Preis die monetäre Integration zu verteidigen, verrieten die Berliner Politiker die deutsche Geldtradition, wie sie sich nach zwei verlorenen Kriegen und zwei Währungsreformen als demokratischer Konsens herausgebildet hatte.

Wann die giftige Saat aufgehen würde, war im Frühjahr 2010 nicht abzusehen. Noch stagnierten die breite Geldmenge M3 und die Vergabe von Bankkrediten an den privaten Sektor, noch signalisierten die abnorm tiefen Renditen deutscher Bundesanleihen keine unmittelbare Gefahr. In der Öffentlichkeit wurde viel über Inflation geredet, aber der Markt für Anleihen gab noch keine Warnung. Die Angst vor der Geldentwertung war nicht unberechtigt, aber verfrüht. (...)

(Die) Europäische Währungsunion (war) von Anfang an ein Experiment mit ungewissem Ausgang, ein europäisches Vabanque-Spiel. Der Euro hätte eine Chance gehabt, wenn die drei Säulen, auf denen er ruhte, gehalten hätten: der Stabilitätspakt mit den Schuldengrenzen, der Haftungsausschluß der Euro-Staaten untereinander und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Alle drei Prinzipien wurden geopfert, als der Euro mit der ersten großen Krise seit seiner Gründung konfrontiert war. (...)

Wahrscheinlichstes Szenario für die kommenden Jahre ist eine Kombination von einzelnen Staatsbankrotten. Möglicherweise werden 2014 hundert alte Euro in einen neuen Gold-Euro getauscht. Die letzten Jahre des Euro haben erst begonnen.

Dreimal in den vergangenen hundert Jahren wurden die Deutschen von Währungsreformen heimgesucht: 1914, als bei Kriegsausbruch der Goldstandard aufgegeben wurde, 1923, als sie alles verloren, und 1948, als von den Geldguthaben weniger als zehn Prozent übrigblieben. Mit einer neuerlichen Währungsreform noch in diesem Jahrzehnt müssen wir nicht rechnen. Dafür ist der staatliche Schuldenstand noch nicht hoch genug, dafür fehlt in Deutschland die Auslandsverschuldung, die einen Schnitt erzwingen würde.

Roland Leuschel und Claus Vogt, die das inflationäre System des ungedeckten Papiergeldes für gescheitert halten, können sich allerdings vorstellen, daß der Goldstandard wieder eingeführt wird und daß bereits im Jahr 2014 hundert alte Euro in einen neuen Gold-Euro eingetauscht werden. Darüber kann man spekulieren, besonders überzeugend ist ein solcher Zeitplan nicht. Richtig daran ist dennoch, daß die Rückkehr zur Goldbindung die eigentliche Alternative zu einem Geldsystem darstellt, das Wohlstand vernichtet, Krisen produziert, Kriege finanziert und eine beängstigende Machtkonzentration in wenigen Händen ermöglicht.

Die für die politische Klasse am ehesten akzeptable Alternative bestünde darin, den Euro beizubehalten, nachdem er schon einmal da ist, und parallel dazu die nationalen Währungen wieder einzuführen – zunächst als Buchgeld, dann nach einer Übergangszeit als Bargeld.

Anschließend kann der Markt entscheiden, welches Geld sich durchsetzt, welches sich besser zur Wertaufbewahrung eignet und in welchem die Exporte und die anderen Zahlungen abgewickelt werden. Damit würden auch die Südeuropäer die Flexibilität zurückgewinnen, die sie brauchen, um sich wirtschaftlich zu sanieren. 

Für Deutschland stellt die D-Mark eine Ultima ratio dar, die von der Bundesbank insgeheim nie völlig ausgeschlossen wurde, aber für das politische Establishment immer noch als undenkbar gilt. Unsere Eliten fürchten den deutschen Sonderweg mehr als den gemeinsamen Untergang. Der politische Wille, der ökonomischen Vernunft zu trotzen und am Euro – koste  es, was es wolle – festzuhalten, darf nicht unterschätzt werden. Das eigentliche Risiko für die in Europa herrschende Schicht besteht in einer Revolte der Völker. Diese wurden zwar mit dem Maastrichter und dem Lissabonner Vertrag ebenso mundtot gemacht wie das deutsche Parlament im Mai 2010 mit dem törichten Argument der Alternativlosigkeit.

Aber wer weiß schon, wann Resignation und Wut umschlagen in Rebellion. Demokratien sind auf Dauer nicht immun gegen den Volkswillen, Diktaturen übrigens auch nicht. Manchmal produziert die Geschichte ganz überraschend einen qualitativen Sprung von der ökonomisch-monetären Misere hin zu einer neuen politischen Landschaft. So war es mit der Französischen Revolution und zuletzt auch mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks. Die letzten Jahre des Euro als scheinbar stabile Währung liegen hinter uns. Die letzten Jahre der Schuldenunion haben gerade erst begonnen.

 

Bruno Bandulet, Jahrgang 1942, war früher in den Chefredaktionen von Quick und Die Welt beschäftigt. Seit 1979  gibt er den Finanzdienst Gold&Money Intelligence heraus. Dem vorliegenden Text liegen Auszüge aus seinem neuen Buch „Die letzten Jahre des Euro“ zugrunde, das im Juli 2010 im Kopp-Verlag erschien.

Foto: 500-Euro-Schein: Bröckelt die gemeinsame europäische Währung mit den stilisierten Epochenmotiven auf dem Papiergeld?

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