© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

„Solitary – Besieg dich selbst!“: Pro7 und die Auswüchse der TV-Unterhaltung
Isolationshaft ohne Freigang
Claus-M. Wolfschlag

Schon seit den 1970er Jahren haben Science-fiction-Filme die künftigen Auswüchse von Fernsehshows vorweggenommen. Filme wie „Kopfjagd – Preis der Angst“ oder „Das Millionenspiel“ zeigten eine enthemmte Medienwelt, bei der Show-Kandidaten vor einem johlenden Publikum für Geld und Medienruhm sogar das eigene Leben riskierten. Hieran scheint  Pro7 mit seiner Show „Solitary“ (samstags, 20.15 Uhr) anknüpfen zu wollen. Nur müssen die B- und C-Promi-Kandidaten nicht um ihr Leben fürchten, sondern sich selbst besiegen.

Sie werden in stickige Acht-Quadratmeter-Zellen gesteckt. Es gibt kein Fenster, keinen menschlichen Kontakt, nur eine kleine Toilette und eine Wasserschüssel. Isolationshaft ohne Freigang nennt man das im wahren Leben.

Alle paar Stunden ertönt eine schrille Computerstimme und fordert die Häftlinge zu speziellen Übungen auf. Alle Kandidaten müssen dabei etwa mit den Rücken an der Wand lehnen, die Beine im rechten Winkel angestellt. Oder sie müssen in eine Kiste klettern und exakt nach 90 Minuten wieder heraussteigen. Das ist schwer ohne Uhr und mit verlorenem Zeitgefühl. Gewinner werden belohnt, etwa mit einem richtigen Bett, Verlierer werden stundenlang mit dem David-Hasselhoff-Lied „Looking for Freedom“ beschallt. Und zwar nicht mit dem ganzen Lied, sondern nur dem Refrain-Bruchstück „I’ve been looking for ...“ in einer Endlosschleife.

Das erinnert stark an klassische Foltermethoden des Schlafentzugs. Zudem wissen die in Einzelzellen sitzenden Kandidaten während der Übung gar nicht, ob sie besser oder schlechter als ihre gleichzeitig in anderen Zellen agierenden Mitkandidaten sind. Körperliche Übungen werden deshalb vorsorglich bis zur Erschöpfung durchgehalten. Stets mit dabei sind natürlich jene potentiell sadistisch veranlagten Zuschauer, die sich am Schweiß, an den Tränen und der Erschöpfung der übermüdeten Kandidaten auf der heimischen Couch laben können.Die anonyme Stimme spricht in die Zellen: „Alle Entscheidungen übernehme ich. Ich bin eure einzige Gefährtin, euer einziger Freund.“ Fast schon ist man geneigt, sie „die Partei“ zu betiteln, doch die Stimme nennt sich selber „Alice“. Und sie verkündet siegesgewiß den Zusammenbruch der Versuchskaninchen: „Jeder von euch wird aufgeben.“

Fast schon buddhistisch wirbt der Fernsehsender mit dem Slogan: „Solitary – Besieg dich selbst“. Kritische Stimmen finden sich vor allem in den Printmedien. „Solitary“ sei „die perfekte Aufgipfelung solch drakonischer Selbstzurichtung“, hieß es etwa in der Süddeutschen Zeitung. „Auslaufmodell Menschenwürde“, schreibt der onlinedienst meedia.de, und newspoint.cc setzt noch einen drauf: „Guantánamo auf Pro7“. Kandidatin Magdalena Brzeska hingegen erklärte den eingedeutschten US-Import in einem Interview immerhin tapfer als psychische und sportliche Herausforderung, um ihre Grenzen zu erfahren und über sich selbst hinauszuwachsen.

Schade für sie. Denn die herausfordernde Inhaftierung bei Pro7 ist auf maximal zehn Tage und Nächte beschränkt. Doch selbst die waren der smarten 26maligen Deutsche Meisterin in der Rhythmischen Sportgymnastik zuviel. Bereits nach 40 Stunden drückte sie den Alarmknopfund stieg aus. „Die Raumenge und die Luftnot haben bei mir klaustrophobische Anfälle ausgelöst“, erklärte sie der B.Z.

Dies erging auch anderen so. Entsprechend sind es nun nur noch die Härtesten, die um die Gunst des Publikums buhlen. Doreen Seidel (Playmate), Liza Li (Sängerin), Kay Böger (Schauspieler) und Dirk Schlemmer (Mister Germany) kämpfen noch gegen sich selbst – und gegen den Zuschauerschwund.

Schauten der Auftaktsendung im Juli stolze 1,6 Millionen Zuseher zwischen 14 und 49 Jahren zu, waren es am vergangenen Samstag nur noch blamable 640.000. Und so ist keineswegs klar, ob „Solitary“ überhaupt bis zur letzten Folge am 11. September durchhalten wird. Das Schicksal des Fox Reality Channel sollte den Pro7-Oberen eine Warnung sein. Der US-Sender strahlte mehrere Staffeln von „Solitary“ aus und stellte dann seinen Betrieb ein.

Foto: Blick in die „Solitary“-Zelle: Schauspieler Kay Böger („Unter uns“, „Verbotene Liebe“) legt sich publikumswirksam voll ins Zeug

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