© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Zäher Kompromiß
Annäherung im Streit um die Sicherungsverwahrung
Lion Edler

Die einen argumentierten mit der Menschenwürde des Täters, die anderen mit dem Sicherheitsbedürfnis potentieller Opfer: seit Monaten streiten die Parteien um die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Schwerverbrechern (JF 33/10). In der vergangenen Woche verkündete Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nun einen Kompromiß der Koalition, wonach es eine neue Form der sicheren Unterbringung psychisch kranker Gewalttäter geben werde.

Dabei solle es sich um „etwas anderes als Strafhaft, aber auch etwas anderes als die Unterbringung psychisch Kranker“ handeln. Geplant ist ein gesondertes Unterbringungsrecht für rückfallgefährdete Sexual- und Gewalttäter. Es solle sichergestellt werden, daß gefährliche Sexualstraftäter weiterhin nicht in Freiheit kämen. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) befürchtet jedoch beim jetzigen Stand des Kompromisses weitere Freilassungen durch Rechtslücken und fordert, daß „alle Fakten und Bewertungen, die während der Haft erkennbar werden, am Ende der Haftzeit in die Entscheidung über die Sicherheitsverwahrung mit einfließen können.“ Die CSU trägt den Kompromiß daher vorerst nicht mit. Für den Vollzug der Unterbringung sind die Bundesländer zuständig. Laut Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wird weiterhin am Ziel von elektronischen Fußfesseln festgehalten. Zudem soll die „vorbehaltene Sicherungsverwahrung“ ausgebaut werden, indem ein Richter sich die Entscheidung über eine Sicherheitsverwahrung bis zum Ende der Haft aufheben kann. Indessen bemängelte Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, bei Innenminister Thomas de Mazière finde sich „kein Wort über Therapie und Resozialisierung, die im Mittelpunkt stehen müssen“.

Hintergrund des Ringens in der Koalition ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das einem in Sicherungsverwahrung sitzenden Schwerverbrecher recht gab. Demnach sei eine nachträgliche Verlängerung dieser Unterbringung über die Zehnjahresfrist hinaus rechtswidrig. Zudem bedeute eine Sicherungsverwahrung wie eine gewöhnliche Haftstrafe einen Freiheitsentzug, was sich unter anderem am Mangel an psychologischer Betreuung zeige. Nach dem Urteil müssen mindestens um 80 Schwerverbrecher aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Seither ringt die Politik um einen Spagat, der einerseits die öffentliche Empörung über ein als täterfreundlich empfundenes Recht beruhigen soll, andererseits aber auch die Autorität des Menschenrechtsgerichtshofs nicht in Frage stellen soll.      

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen