© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Erfolgreiche „Hetze“ aus dem Süden
Nordkorea: Trotz der brutalen und flächendeckenden Überwachung gelingt es dennoch, die Bevölkerung mit alternativen Informationen zu versorgen
Friedrich Wilhelm Schlomann

Viel Medienaufmerksamkeit wurde dem früheren US-Präsidenten Jimmy Carter zuteil, als er vorige Woche bei seinem Besuch in Nordkorea die Freilassung eines seit Januar inhaftierten US-Bürgers erreichte. Aijalon Mahli Gomes, der als Englischlehrer in Südkorea tätig war, hatte die nordkoreanische Grenze von China aus unerlaubt überquert und war daraufhin zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Als gläubiger Christ und Missionar wollte er mit seiner kühnen Tat den unterdrückten Koreanern im kommunistischen Norden des seit 1953 geteilten Landes helfen.

Weniger öffentlichkeitswirksam arbeiten die zehn Organisationen von Flüchtlingen aus Nordkorea, die sich vor zwei Jahren in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul zusammenschlossen. Vorsitzender wurde Hwang Jang-yop, der einst Chefideologe und Sekretär des Zentralkomitees der allmächtigen nordkoreanischen Partei der Arbeit war. 1997 nutzte er zusammen mit einem weiteren Funktionär eine offizielle Auslandsreise zur Flucht.

Da die damalige, auf Entspannung ausgerichtete südkoreanische Regierung diesen Aktivitäten eher ablehnend gegenüberstand, werden sie vor allem durch Spenden aus den USA und Taiwan sowie von Koreanern aus Europa finanziert. Die jetzige Seouler Regierung zeigt etwas mehr Rückgrat und entgegnet auf Kritik aus Pjöngjang, sie könne angesichts der in der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit die Kampagnen von Regimekritikern nicht verbieten. Besonders groß ist der Zorn der kommunistischen Machthaber auf den Sender „Freies Radio für Nordkorea“, der seine Redaktion irgendwo in der Elf-Millionen-Metropole Seoul hat. Die genaue Adresse ist aus Sicherheitsgründen geheim, das tägliche Fünf-Stunden-Programm wird via Japan ausgestrahlt. Obwohl das heimliche Abhören mit fünf Jahren Arbeitslager geahndet wird, gibt es offenbar immer mehr Hörer. Die notwendigen Radios werden meist aus China eingeschmuggelt, die Schwarzmarktpreise sind daher enorm.

Die „Kämpfer für ein freies Korea“ setzen daher auf ein traditionelles Medium: Nahe der Demarkationslinie am 38. Breitengrad starten sie große Luftballons, die dann über der Volksrepublik ihre Freie Nordkoreanische Zeitung buchstäblich aus dem Himmel fallen lassen. Ihr Inhalt geißelt primär das diktatorische und ausschweifende Leben des „Geliebten Führers“ Kim Jong-il sowie die Wirtschaftsmisere und den Hunger seiner Untertanen, andererseits beschreibt sie das heutige Leben der Geflüchteten im freien und wirtschaftlich pulsierenden Süden des Landes. Auch kleine Radioempfänger und DVDs sollen per Ballon eingeschleust worden sein.

Vor kurzem wurden sogar insgesamt 3.000 Ein-US-Dollar-Noten (die heimliche Parallelwährung dort) über die hermetisch abgeriegelte Todesgrenze geflogen. Aufrufe zum offenen Widerstand oder gar zu Aufständen sowie Versprechungen des Südens beinhalten diese schriftlichen Botschaften indes nicht. Bei allem Unwillen der nordkoreanischen Bevölkerung würde dies unverantwortliche Illusionen nähren.

Viele setzen ohnehin auf ein Ende des schwerkranken Diktators und eine nachfolgende Änderung des Systems: „Wie die Sonne nach der Nacht wieder aufgeht, kann Kim nicht mehr lange leben. Verliere bitte nicht den Mut!“ Man sollte diese Aktionen keineswegs überbewerten, aber angesichts der eigenen Misere und dieses Eindringens der Wahrheit in Wort und Schrift werden immer weniger Nordkoreaner den ständigen Siegesmeldungen der Diktatur noch Glauben schenken können.

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